In der RÜ 11/14 weist Schneider die Leser auf Seite 723 auf einen Anfragebeschluss des 2. Strafsenats des BGH hin. Dazu schreibt er:
„Zu diesen Ausnahmen zählt nach Rspr. und h.M. weiter, den Ermittlungsrichter als Zeugen vom Hörensagen über den Inhalt der früheren Vernehmung des Zeugen vernehmen zu können, wenn dieser den Zeugen vor der Vernehmung über sein bereits damals bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht belehrt hatte und der Zeuge dennoch eine Aussage gemacht hatte. Hierauf bezieht sich der aktuelle Anfragebeschluss des 2. Strafsenats des BGH v. 04.06.2014 – 2 StR 656/13.“
Als Leser freut man sich natürlich immer, wenn auf aktuelle Entwicklungen hingewiesen wird. Noch schöner ist es, wenn nicht nur ein Verweis auf eine neue Rechtsprechungstendenz erfolgt, sondern diese auch kurz vorgestellt wird.
Da das in der RÜ leider nicht der Fall ist, ein gemeinsamer Blick in den Anfragebeschluss des 2. Strafsenats des BGH v. 04.06.2014 – 2 StR 656/13, S. 2, Nr. 1:
Die Verwertung einer früheren richterlichen Vernehmung eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der richterlichen Vernehmungsperson ist nur dann zulässig, wenn dieser Richter den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch qualifiziert über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hat.
Die geplante Neuerung besteht also darin, dass künftig eine qualifizierte Belehrung erforderlich sein soll, im Rahmen derer über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung der Aussage im weiteren Verfahren informiert wird.n
Bisher hatte der Senat zwei Gründe gegen eine solche qualifizierte Belehrung vorgetragen:
Begründet wurde dies mit der Erwägung, dass ein Zeuge nicht einmal auf die Möglichkeit des Widerrufs eines erklärten Verzichts auf sein Zeugnisverweigerungsrecht noch während der laufenden Vernehmung hingewiesen werden müsse; umso weniger sei es deshalb geboten, ihn schon vorsorglich für den Fall, dass er in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigern sollte, über die Auswirkungen auf die Verwertbarkeit seiner Aussage hinzuweisen […].
Ergänzend wurde angeführt, für die Annahme einer solchen Belehrungs- oder Hinweispflicht fehle es an einer gesetzlichen Grundlage […].
Jetzt erscheinen dem Senat diese Begründungsansätze nicht mehr tragfähig. Ein Blick in die vorgetragenen Argumente. Rn. 16:
Zu Recht hat der BGH vielfach auf die besondere Bedeutung der Belehrung des Zeugen für dessen Entscheidung hingewiesen, Angaben zu machen […]. Zu der hierfür erforderlichen umfassenden Information gehört aber nicht allein die Kenntnis eines zum Zeitpunkt der Vernehmung bestehenden Zeugnisverweigerungsrechts, sondern auch die Kenntnis über die möglichen verfahrensrechtlichen Konsequenzen der Aussagebereitschaft. […] Die von §§ 52, 252 StPO geschützten Interessen gebieten es vor diesem Hintergrund, den Zeugen auch darüber zu belehren, dass er an zu diesem Zeitpunkt endgültig und unwiderruflich über die Wahrnehmung des ihm zustehenden Zeugnisverweigerungsrechts zu entscheiden hat.
In Randnummer 18 findet sich ein weiteres Argument, das sehr anschaulich ist. Es beschäftigt sich mit der Frage, wie damit zu verfahren ist, dass die Zeugen doch sowieso der Ansicht seien, dass ihre Angaben „endgültig“ sind.
Sofern man anders als der Senat davon ausginge, der Zeuge sei angesichts des Verfahrensgangs ohnehin meist der Ansicht, dass mit der richterlichen Vernehmung seine Angaben für eine spätere Hauptverhandlung gesichert werden sollen, würde dies keinen genügenden Grund darstellen, von einer entsprechenden Belehrungspflicht abzusehen. Diese würde insoweit jedenfalls die „Ausnahmefälle“ erfassen, in denen es an der entsprechenden Kenntnis fehlt; für die Praxis der Strafverfolgung hätte sie überdies keine besondere Relevanz, weil die maßgeblichen Entscheidungen der Zeugen schon jetzt in umfassender Kenntnis der damit verbundenen Auswirkungen getroffen würden.
Dann muss sich der Anfragebeschluss natürlich noch mit den bisher vorgebrachten Gegenargumenten auseinandersetzen. Zunächst zu der fehlenden gesetzlichen Grundlage, Rn. 19:
Dass es an einer gesetzlichen Grundlage hierfür fehle […], ist zwar zutreffend, schließt aber […] Anerkennung einer entsprechenden Belehrung gerade nicht aus. Denn es handelt sich um Erwägungen und Anforderungen im Bereich der richterrechtlich begründeten Ausnahme von dem Beweisverwertungsverbot des § 252 StPO. Es wäre widersprüchlich, ungeschriebene Ausnahmen von einem Verwertungsverbot zuzulassen, für deren rechtsstaatliche Begrenzung aber eine gesetzliche Grundlage zu verlangen. Im Übrigen ist zu bedenken, dass die Rechtsprechung auch in anderen Bereichen gesetzlich nicht vorgesehene Belehrungspflichten entwickelt hat, etwa im Zusammenhang mit § 136a StPO.
Ein weiteres Argument war, dass auch bei einer Vernehmung in der Hauptverhandlung kein Hinweis erforderlich ist, dass jederzeit auf das Auskunftsverweigerungsrecht zurückgekommen werden kann. Dazu heißt es in Rn. 20:
Die Situation eines Zeugen, der sich in der Hauptverhandlung dazu entschlossen hat, trotz Bestehen eines Auskunftsverweigerungsrechts Angaben zu machen, ist nicht mit der Lage zu vergleichen, in der sich der Zeuge bei einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung befindet. Entscheidet sich die ordnungsgemäß belehrte Aussageperson in der Hauptverhandlung zu einer Aussage, liegt dem regelmäßig eine in Kenntnis der Folgen für den verwandten Angeklagten getroffene bewusste Entscheidung zugrunde, die keinen Anhalt für einen bestehenden Willensmangel oder eine kurzfristig (während der Vernehmung) zu erwartende Willensänderung bietet. Bei einer Vernehmung durch einen Richter im Ermittlungsverfahren ist hingegen – wie oben dargelegt – nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass der Zeuge sich der Endgültigkeit seiner Entscheidung, […] bewusst ist. Ihn darauf hinzuweisen, ist – anders als in der Hauptverhandlung – ein Gebot, das es ihm erst ermöglicht, verantwortungsvoll über die Wahrnehmung seiner Rechte in der vom Gesetz grundsätzlich als schützenswert angesehenen Situation zu entscheiden.
In Randnummer 21 setzt sich der Senat dann noch mit dem Einwand auseinander, dass die Effektivität der Strafverfolgung beeinträchtigt werden könnte:
Es ist nicht zu befürchten, dass die Entscheidungen der großen Mehrzahl der Zeugen nach einer solchen Belehrung anders ausfallen könnte als bisher, selbst wenn es einzelne Zeugen geben mag, für die eine solche Belehrung Anlass sein könnte, von einer Zeugenbekundung Abstand zu nehmen oder auf sie jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt zu verzichten. Dies wäre hinzunehmen, denn es entspricht der gesetzgeberischen Wertung, dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen insoweit durch Einschränkung der Wahrheitsermittlung und damit letztlich auch der Strafverfolgung Rechnung zu tragen, und räumt dem Zeugen damit noch keine Befugnisse ein, die ihn – fernab des Konflikts, in dem er sich befindet und den er berechtigt für sich auch durch den Verzicht auf eine Aussage lösen kann – zum „Herren über das Verfahren“ machen würde.
Es bleibt festzuhalten: Ein neuer Klausurklassiker ist geboren. In Zukunft wird man sich nicht mehr nur mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob ein Zeuge vom Hörensagen über den Inhalt der früheren Vernehmung des Zeugen vernommen werden kann, wenn der Zeuge sich in der Hauptverhandlung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft. Vielmehr wird man jetzt auch erörtern müssen, inwiefern dann besondere Anforderungen an eine Belehrung des Zeugen zu stellen sind. Wir sollten uns als Gedankenstütze „qualifizierte Belehrung“ merken – ein Begriff, der uns auch bisher aus einem anderen Zusammenhang bei StPO-Zusatzfragen bekannt war, und den wir jetzt noch mit einem anderen Kontext in unseren Kopf verknüpfen können.
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