Eine Frage, die im Baurecht bei Beiseitigungsverfügungen immer diskutiert wird: Ist formelle und/oder materielle Baurechtswidrigkeit erforderlich?
Wüstenbecker schreibt dazu in der RÜ 10/2014, 661 (662):
Eine Beseitigungsverfügung setzt als Verstoß gegen baurechtliche Vorschriften formelle und materielle Illegalität (Baurechtswidrigkeit) voraus.
Weiter diskutiert er das Problem nicht, denn es ist erkennbar kein Schwerpunkt seines Falles. Dennoch sollte man mit solch pauschalen Sätzen vorsichtig sein. Warum? Das erklärt Lindner in der JuS 2014, 118:
Erstens stimmen sie [die Begriffe der formellen und/oder materiellen Illegalität, M.H.] mit den gesetzlichen Rechtsgrundlagen nicht überein, in denen von formeller und/oder materieller Illegalität gar keine Rede ist. Tatbestandsmerkmal ist vielmehr der „Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften“.
Aber es gibt noch ein wesentlich stärkeres Argument gegen diese klassische Formel, S. 119:
Zweitens können diese Formeln irreführend sein, wenn sie den Eindruck erwecken, dass es bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Baueinstellungsverfügung oder Nutzungsuntersagung auf sie stets ankomme. Dies ist jedoch infolge der durch die Bauordnungsnovellen der letzten Jahre gesteigerten Zahl von genehmigungsfreien Vorhaben sowie solchen Vorhaben, die nur einem vereinfachten Genehmigungsverfahren unterliegen, nicht der Fall. Zu Recht wird daher darauf hingewiesen, dass die Formel der formellen und/oder materiellen Illegalität „mehr falsch als richtig“ sei. (Manssen, in: Becker/Heckmann/Kempen/Manssen, Öffentl. Recht in Bayern, 5. Aufl. (2011), Rdnr. 442; Decker, BayVBl 2011, 517 (524)).
Was möchte uns Lindner damit sagen? In den Fällen, in denen eine Baugenehmigung gar nicht erforderlich ist, besteht nie formelle Illegalität. Es kommt für die Beseitigungsverfügung in solchen Konstellationen also nur auf die materielle Illegalität an. Die Standardformel von „der formellen und materiellen Illegalität“ versagt also.
Wie sollen wir dann in der Klausur vorgehen? Lindner hat einen Vorschlag, der das Auswendiglernen deutlich reduziert, S. 119:
Es empfiehlt sich, die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Beseitigungsanordnung und Nutzungsuntersagung stärker an Wortlaut und Struktur der jeweiligen Befugnisnorm zu orientieren.
Und wie funktioniert das dann genau? S. 123:
– Ist eine Baugenehmigung erforderlich und liegt diese vor?
– Wie weit reicht der Prüfungsumfang im Baugenehmigungsverfahren?
– Enthält die Befugnisnorm neben dem Tatbestandsmerkmal „im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften“ auch den Zusatz „wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können“? Davon hängt ab, ob die materielle Illegalität bereits auf Tatbestandsebene oder im Rahmen der Ermessensausübung zu prüfen ist.
Auf diese Art und Weise können wir die Rechtmäßigkeit von Beseitigungsanordnungen prüfen, ohne dass wir Gefahr laufen Formeln zu vergessen oder zu verwechseln, die dann sowieso im konkreten Fall nicht passen. Dadurch, dass wir nun eng am Wortlaut des Gesetzes bleiben, haben wir für die Klausur immer eine Struktur und können auch unbekannte Fälle einer angemessenen Lösung zuführen.
Auch bei genehmigungsfreien Vorhaben kann eine formelle Illegalität vorliegen. Man denke etwa an den Fall, dass die dann oftmals bestehenden Anzeigepflichten nicht eingehalten werden (vgl. § 67 BauO NRW)
Danke für den interessanten Hinweis. Diese Meinung gibt es. Allerdings sieht Lindner das klausurpraktisch anders:
(JuS 2014, 118 (119))
Entscheidend dürfte letztlich sein, dass man in Klausuren mit dem Problem umzugehen weiß.
[…] Ein Lernbaustein ohne drohende Beseitigungsverfügung (zu Weihnachten) […]