In der JA 2014, 819ff stellen Bertl und Lotte eine Hausarbeit mit dem Titel „Urlaub mit Hindernissen“ vor.
Im Sachverhalt, S. 820, heißt es:
Im Zeitpunkt der Buchung war V noch nicht als GmbH im Handelsregister eingetragen, jedoch war der Gesellschaftsvertrag bereits wirksam abgeschlossen. Inzwischen weist das Handelsregister aber V als GmbH aus.
Um den Fall weiter verfolgen zu können, sollten die verschiedenen Gründungsphasen auf dem Weg zur GmbH unterschieden werden. Dazu lesen wir bei Körber/Kliebisch in der JuS 2008, 1041 (1042):
[…]
(1) Vorgründungsgesellschaft bis zur notariellen Beurkundung,
(2) Vor-GmbH zwischen Beurkundung und Eintragung,
(3) „fertige” GmbH ab Eintragung […]
Auf Seite 820f prüfen Bertl/Lotte dann Ansprüche gegen V. Da heißt es:
Fraglich ist aber, ob V wirksam Vertragspartner geworden ist. […] V wandelt sich im Zeitpunkt des Abschluss des Gesellschaftsvertrags von einer Vorgründungsgesellschaft in eine Vor-GmbH, die als Vereinigung sui generis einzuordnen ist. Diese kann bereits Träger von Rechten und Pflichten sein. […] Nach heutiger Rspr. ist jedoch von der Identität zwischen GmbH und Vor-GmbH auszugehen. Die GmbH übernimmt daher alle Rechte und Pflichten der Vor-GmbH.
Wir halten also fest: Nach der zwischenzeitlich erfolgten Eintragung in das Handelsregister ist die GmbH entstanden und übernimmt alle Rechte und Pflichten der Vor-GmbH. Die Autoren prüfen also Ansprüche gegen die jetzt bestehende GmbH.
Auf Seite 825 wird der Frage nachgegangen, ob auch G, ein Gesellschafter der GmbH, in Anspruch genommen werden kann. Im Einleitungssatz steht:
Als Gesellschafter der V könnte G für diesen [richtig wohl: diese, M.H.] zu haften haben. Grundsätzlich haften Gesellschafter gemäß § 13 II GmbHG nicht mit ihrem Privatvermögen. Als Haftungsmasse steht den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen zur Verfügung. Eine Ausnahme könnte jedoch für Verbindlichkeiten der Vor-GmbH gelten.
Die Autoren beschreiben also das Trennungsprinzip und gehen im Anschluss daran denkbare Ausnahmen durch (S. 825f):
I. Handelndenhaftung, § 11 II GmbHG
[…]
II. Persönliche Haftung der Gesellschafter
[…]
1. Keine persönliche Haftung
[…]
2. Unbeschränkte persönliche Außenhaftung
[…]
3. Anlehnung an Kommanditistenhaftung
[…]
4. Differenzhaftung
Dann wird die Differenzhaftung näher erläutert (S. 826):
Um Unbilligkeiten zu vermeiden, sei ein Haftungsgleichlauf vor und nach der Eintragung der GmbH unabdingbar. Diese spaltet sich in eine Verlustdeckungshaftung vor Eintragung der GmbH und eine Differenzhaftung nach Eintragung der GmbH auf. Mit der Eintragung erlischt also die Verlustdeckungshaftung und die Differenz- bzw. Vorbelastungshaftung entsteht.
– Vor Eintragung der GmbH: Verlustdeckungshaftung
– Nach Eintragung der GmbH: Differenzhaftung/Vorbelastungshaftung
(Die Begriffe „Verlustdeckungshaftung“ und „Vorbelastungshaftung“ kann man schnell verwechseln. Ich merke mir das so: Die Begriffe sind in ihrer alphabetischen Reihenfolge vor/nach Eintragung der GmbH heranzuziehen.)
Jetzt wird die Differenzhaftung weiter charakterisiert:
Diese Haftung [Differenzhaftung, M.H.] ist jedoch als reine Innenhaftung ausgestaltet, sodass sich die Gläubiger ausschließlich an die GmbH wenden können. […] Der BGH lässt nur dann ausnahmsweise eine Durchgriffshaftung zu, falls die GmbH vermögenslos ist, eine Ein-Mann-GmbH vorliegt oder nur ein Gläubiger existiert.
Dann wird es kritisch: Bertl/Lotte behaupten, dass bei der Differenzhaftung, die prinzipiell als Innenhaftung ausgestaltet ist, Durchgriffskonstellationen denkbar seien. Dabei berufen sie sich auf den BGH – leider ohne uns eine Fundstelle zu nennen.
Wir lesen aber beim BGH, Urteil vom 24.10.2005 – II ZR 129/04, Rn. 6:
Verfehlt ist aber die Ansicht des BerGer., bei einer GmbH, die vermögenslos ist oder nur einen Gesellschafter besitzt, könnten die Gläubiger die Gesellschafter unmittelbar in Anspruch nehmen. Zu Unrecht glaubt das BerGer., es könne die von dem Senat bei der Entwicklung der Verlustdeckungshaftung anerkannte Durchbrechung des Innenhaftungsprinzips (vgl. BGHZ 134, 333 [341] = NJW 1997, 1507) auch auf die Unterbilanzhaftung übertragen.
Hier zur Begriffsklärung: „Unterbilanzhaftung“ ist nur ein anderes Wort für „Vorbelastungshaftung“.
Viel wichtiger aber: Die Ausnahmen von der reinen Innenhaftung hat der BGH nur für die Verlustdeckungshaftung anerkannt, nicht aber für die Vorbelastungshaftung/Unterbilanzhaftung.
Das können wir auch nochmal bei Merkt im MüKO, GmbHG, 2015, § 11 GmbHG Rn. 156 nachlesen:
Die nach Eintragung der GmbH in das Handelsregister eingreifende Unterbilanzhaftung ist – im Unterschied zur Verlustdeckungshaftung […] – auch dann als reine Innenhaftung ausgestaltet, wenn die GmbH vermögenslos ist oder nur einen Gesellschafter hat. Eine auch nur ausnahmsweise Übertragung der bei der Verlustdeckungshaftung anerkannten Durchbrechung des Innenhaftungsprinzips auf die Unterbilanzhaftung ist nicht möglich […].
Im Ergebnis nehmen die Autoren zwar auch keinen Anspruch an. Sie stellen jedoch darauf ab, dass keine der genannten Ausnahmekonstellationen einschlägig ist. Das ist die falsche Begründung für das richtige Ergebnis, da diese Fallgruppen bei der Vorbelastungshaftung gar nicht geprüft werden dürfen.
Lesen wir weiter:
M hat daher keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen G. Er kann jedoch die Vor-GmbH auf Zahlung verklagen. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung kann M dann den Anspruch der Vor-GmbH gegen den Gründer G aus der Verlustdeckungshaftung nach §§ 829, 835 ZPO durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Vollstreckungsgesichts [sic] pfänden und zwecks Befriedigung seiner Schadensersatzforderung überweisen lassen.
Hier geht es etwas durcheinander. Fassen wir die wichtigsten Thesen zu diesem Themen aus dem Beitrag noch einmal kurz zusammen:
– Seite 820:
Inzwischen weist das Handelsregister aber V als GmbH aus.
– Seite 826:
Mit der Eintragung erlischt also die Verlustdeckungshaftung und die Differenz- bzw. Vorbelastungshaftung entsteht.
Damit stellt sich folgende Frage: Wie kann man die Vor-GmbH verklagen? Sie ist doch in dem Moment der Eintragung zur GmbH geworden und somit nicht mehr existent. Der Anspruch müsste sich doch also gegen die GmbH richten und dann würde die Vorbelastungshaftung/Unterbilanzhaftung greifen.
Also nochmal ein Blick in das eben schon zitierte Urteil des BGH vom 24.10.2005 – II ZR 129/04, Rn. 6:
Dementsprechend ist der Kl. als Gläubiger der Gesellschaft darauf verwiesen, im Wege der Forderungspfändung den Anspruch der Bekl. zu 2 gegen die Bekl. zu 1 aus der Unterbilanzhaftung geltend zu machen […].
Bekl. zu 2 ist die GmbH und Bekl. zu 1 ist die Alleingesellschafterin. Also fassen wir die Aussage abstrakter, als der BGH es in seinem konkreten Fall tut:
Dementsprechend ist der Gläubiger der Gesellschaft darauf verwiesen, im Wege der Forderungspfändung den Anspruch der GmbH gegen den Gesellschafter aus der Unterbilanzhaftung geltend zu machen.
Zusammengefasst: Es wird nicht Anspruch der Vor-GmbH aus der Verlustdeckungshaftung gepfändet, sondern der Anspruch der GmbH aus der Vorbelastungshaftung (Unterbilanzhaftung).
Wir sehen: Es handelt sich um kein einfaches Thema. Es ist auch ungeeignet zum Auswendiglernen. Vielmehr sollte man sich etwas Zeit nehmen und die Grundlagen verstehen. Dann handelt es sich um recht klare Strukturen, die in einer Klausur gut angewendet werden können.
Die Fall-Lösung von Bertl/Lotte ist leider auch an anderer Stelle missverständlich. Jedoch handelt es sich dabei vergleichsweise um eine absolute Kleinigkeit, die hier nur noch kurz angesprochen werden soll, weil sie in der Online-Ausgabe der JA leicht verbessert werden kann.
Auf S. 825 (linke Spalte) heißt es:
M hat daher gegen V keinen Anspruch aus § 823 I BGB.
Und auf S. 825 (rechte Spalte) steht:
M steht ein Anspruch gegen V aus § 651f I BGB, § 651f II BGB sowie § 823 I BGB auf Schadensersatz zu.
Also von zwei Sachen eine: Entweder „kein“ Anspruch aus § 823 I BGB oder „ein“ Anspruch aus § 823 I BGB.
Super aufbereitet, danke! 🙂
Danke für das aufmunternde Feedback :-).
Ich musste sehr schmunzeln, als ich gelesen habe, dass die Autoren auf die Ausnahmen von der Vorbelastungshaftung abgestellt haben :)). Schon ein relativ peinlicher Fehler, wenngleich man die Vorbelastungs- und Verlustdeckungshaftung im „Eifer des Gefechts“ schonmal begrifflich vertauschen kann. Ich nenne die Vorbelastungshaftung deshalb auch immer nur Unterbilanzhaftung, dadurch kann ich das in meinem Kopf besser trennen. Sehr lesenswert und amüsant, mit wie viel Mühe du die Fehler aufdeckst ;).
Liebe Grüße
Jonas
Danke für den freundlichen Zuspruch. In der Tat kann man die Begriffe „Vorbelastungshaftung“ und „Verlustdeckungshaftung“ leicht verwechseln. Deshalb ist dein terminologischer Vorschlag richtig hilfreich.
Vielen Dank für die super Aufbereitung! Ich hoffe du kannst mir auch meine Rückfrage diesbezüglich beantworten, da ich in dieser Thematik noch immer leider ziemlich unsicher bin. Habe ich das richtig verstanden, dass wenn die Klägerin bereits vor Eintragung der GmbH (also zum Zeitpunkt der Vor-GmbH) geklagt hätte und rechtbekommen hätte, die Gesellschafter auch nach Eintragung der Vor-GmbH und dem damit verbundenen Entstehen der GmbH aufgrund der Unterbilanzhaftung und der Gesamtrechtsnachfolge dazu verpflichtet wären die Verpflichtung mit ihrem Privatvermögen zu begleichen ? Da in diesem Fall aber zu einem Zeitpunkt geklagt wurde, zu dem die Vor-GmbH gar nicht mehr existierte, sondern nur die GmbH greift die Unterbilanzhaftung nicht und die Verpflichtung ist wie jede andere Verpflichtung einer GmbH zu behandeln und damit haften die Gesellschafter nicht persönlich? Vielen Dank für deine Hilfe 🙂
Danke, für die super Aufbereitung. Ich hoffe du kannst mir auch meine Anschlussfrage dazu beantworten. Ich bin mir leider recht unsicher, ob ich die richtigen Schlüsse aus diesem Fall ziehe. Und zwar: Hätte die Klägerin die Vor-GmbH zu dem Zeitpunkt ihrer Existemz verklagt und hätte Recht bekommen, dann hätte diese doch auch nach Eintragung der GmbH und damit dem Verschwinden der Vor-GmbH Anpruch auf Zahlung aufgrund der Unterbilanzhaftung. (Bin ich richtig in der Annahme, dass der Anspruch nicht aufgrund der Gesamtrechtsnachfolge entsteht, weil auch die Gesamtrechtsfolge würde ja nur einen Schadensersatz nach GmbH Recht und damit nur aus Gesellschaftsmitteln ermöglichen oder ?). Da allerdings die Klägerin erst geklagt hat, als nur noch die GmbH existierte, kann sie auch nur noch Ansprüche gegen die GmbH geltend machen und nach §13 Abs. 2 GmbHG haften hier die Gesellschafter nicht persönlich.
Vielen Dank für die netten Worte. Deine Frage würde ich wie folgt beantworten:
„Mehrere Gründer haften im Verhältnis der Nennbeträge ihrer Geschäftsanteile zueinander pro rata (quotarische Haftung), wobei § 24 GmbHG Anwendung findet.
Es handelt sich um eine Innenhaftung, da die Haftung der Gründer gegenüber der Gesellschaft besteht. Die Gläubiger der Vor-GmbH müssen aus einem gegen die Vor-GmbH erwirkten Titel den gegen die Gründer gerichteten Verlustdeckungsanspruch pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen und sodann den gepfändeten Anspruch gegenüber den Gründern gegebenenfalls im Klageweg geltend machen. War die Eintragung der GmbH allerdings von vornherein nicht durch die Gründer beabsichtigt oder wird die Geschäftstätigkeit nach dem Scheitern der Gründung nicht sofort beendet, spricht man von einer sog. unechten Vor-GmbH, für die die Haftungsregeln der §§ 128 ff. HGB analog herangezogen werden.“
(Wagner, in: Deutsches Anwalt Office Premium, II Gründung der GmbH & Co. KG – Handelsrechtlicher Teil – / 2.2.2.3 Haftungsverhältnisse der Vor-GmbH, Rn. 66)
Der BGH (Urt. v. 27.01.1997 – II ZR 123/94) hat dazu gesagt:
„Den Gläubigern entstehen dadurch keine unzumutbaren Nachteile, weil sie im Wege der Pfändung den Verlustdeckungsanspruch der Vorgesellschaft gegen die Gründer verwerten können (Hachenburg/Ulmer aaO, § 11 Rz. 66). Zwar wird dagegen eingewandt, es stelle eine wesentliche Beeinträchtigung des Gläubigerschutzes dar, daß diese gezwungen seien, aus einem gegen die Vor-GmbH erwirkten Titel die gegen die Gründergesellschafter gerichteten Einzelansprüche zu pfänden, Teilschulden einzuklagen und bei deren Uneinbringlichkeit schließlich die Ausfallhaftung geltend zu machen (K. Schmidt, ZIP 1996aaO, S. 357). Es ist unbestreitbar, daß diese Voraussetzungen den Gläubigern im Vergleich zu einer gesamtschuldnerischen Außenhaftung die Durchsetzung ihrer Ansprüche erschweren können. Die in diesem Zusammenhang gebotene Abwägung der Interessen der Gläubiger und Gesellschafter ergibt aber, daß diese Erschwernis für die Gläubiger nicht unzumutbar ist.“