Zuständigkeitsverteilung zwischen mitgliedstaatlichen Gerichten und EuGH: Ein Regel-Ausnahme-Verhältnis

Cathrin Mächtle schreibt in der JuS 2015, 314 (315):

Die Prüfung der Erforderlichkeit und Erheblichkeit einer Vorlage obliegt dem mitgliedstaatlichen Gericht und ist der Nachprüfung durch den EuGH entzogen.

Wir halten fest: (1) Die Prüfung der Erforderlichkeit und Erheblichkeit einer Vorlage ist der Nachprüfung durch den EuGH entzogen.

Im darauf folgenden Satz heißt es dann:

Im Rahmen der Prüfung seiner Zuständigkeit untersucht der EuGH nur, ob die Fragen zu allgemeiner oder rein hypothetischer Natur sind, keinen Zusammenhang mit der Realität aufweisen oder ihre Beantwortung offenkundig nicht für das Verfahren erforderlich wäre.

Daraus folgt: (2) Der EuGH untersucht u.a., ob die Beantwortung der Fragen offenkundig nicht für das Verfahren erforderlich wäre.

Zwischen (1) und (2) besteht ein logischer Widerspruch. In (1) wird dem EuGH die Prüfung der Erforderlichkeit abgesprochen. In (2) wird eine Erforderlichkeitsprüfung für den EuGH bejaht. Wie können wir diesen Widerspruch auflösen?

Zwischen beiden Prämissen muss ein Regel-Ausnahmeverhältnis hergestellt werden, wie es Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 54. Ergänzungslieferung 2014, Art. 267 AEUV, Rn. 25 tut:

Allerdings ist es grundsätzlich „allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen“.

Damit ist die Regel formuliert: Grundsätzlich ist es allein Sache des nationalen Gerichts, die Erforderlichkeit und Erheblichkeit einer Vorlage zu bestimmen. Nur ausnahmsweise darf sich also der EuGH selbst zu der Frage der Erforderlichkeit äußern.

Die Erforderlichkeit einer Vorlage – und das ist die Ausnahme – kann aber vom EuGH dann verneint werden,

wenn das vorlegende Gericht dem EuGH die genauen Gründe für die Erforderlichkeit der Vorlage […] nicht zur Verfügung stellt […].

(Wißmann, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 2015, Art. 267 AEUV, Rn. 21)

Taube

Wir halten fest: Dadurch, dass Mächtle beide Thesen gleichrangig formuliert hat, ist ein Widerspruch entstanden. Nur durch die Schaffung eines Regel-Ausnahmeverhältnisses lässt sich dieser Widerspruch auflösen. Man muss aber zugeben, dass die terminologische Präzision in der europarechtlichen Literatur zu diesem Punkt nicht so einheitlich ist, wie dies „erforderlich“ wäre.

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