Heute schauen wir uns einen terminologischen Unterschied an, den wir bei jeder Grundrechts-Prüfung beachten sollten. Da man sich Dinge besser exemplarisch als abstrakt merken kann, habe ich als Beispiel die Urteilsbesprechung von Hufen, JuS 2014, 1146ff zum Urteil des BVerfG vom 11.12.2013 (Az.: 1 BvR 194/13) ausgesucht. Bei Hufen lesen wir auf Seite 1147:
Darstellung und Analyse
Anders als im Fall „durchgeknallter Staatsanwalt“ gibt die Kammer der Verfassungsbeschwerde statt und bezeichnet sie als zumindest teilweise offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletze die Bf. in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I iVm 1 I GG, soweit sie die Äußerung zulässt, die Bf. sei eine „durchgeknallte Frau“.
Dass zu Beginn der Darstellung des Urteils bereits das Ergebnis „verraten“ wird, liegt daran, dass der Urteilsstil gewählt wurde. Entscheidend für uns ist, dass an dieser Stelle von „verletzt“ die Rede ist.
Gegen Ende der Besprechung von Hufen heißt es dann auf Seite 1148:
Das habe das OLG übersehen und damit in das Persönlichkeitsrecht der Bf. eingegriffen.
Jetzt ist also von Eingriff in das Persönlichkeitsrecht die Rede. Warum zunächst „Verletzung“ und dann „Eingriff“?
Wie formuliert das Bundesverfassungsgericht? Unter Rn. 27 steht:
Das Oberlandesgericht hat insoweit das Ausmaß der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin nicht hinreichend erfasst und die sich gegenüberstehenden Positionen in Ansehung der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht in ein Verhältnis gebracht, das dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin angemessen Rechnung trägt.
Das Bundesverfassungsgericht spricht im Schluss-Satz also ausdrücklich nicht von „Eingriff“. Hier kann uns jetzt Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Staatsrecht II, 2014, Rn. 238 weiterhelfen:
Lösungstechnischer Hinweis: Fallbearbeitungen sind terminologisch oft nicht korrekt, sprechen statt vom Eingriff von der Verletzung und fragen nach deren verfassungsrechtlicher Rechtfertigung. Aber die Verletzung ist gerade der verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigende und daher unzulässige Eingriff. Ob ein Grundrecht verletzt worden ist oder nicht, stellt daher das Ergebnis der Prüfung dar.
Wir sehen: Im Laufe der Prüfung dürfen wir zunächst nur von einem Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts prüfen. Erst wenn wir festgestellt haben, dass eine Rechtfertigung nicht in Betracht kommt, steht fest, dass eine Verletzung des Grundrechts vorliegt.
Hufen hätte also gegen Ende besser wie folgt formulieren sollen:
Das habe das OLG übersehen und damit das Persönlichkeitsrecht der Bf. verletzt.
Wie Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher erklären, muss im Ergebnis der Prüfung festgestellt werden, ob ein Grundrecht verletzt worden ist oder nicht. Ob ein Eingriff vorliegt, wurde hingegen bereits vor der Prüfung der Rechtfertigung geklärt.
Merke: Zuerst prüft man den Eingriff in ein Grundrecht. Erst nach der Prüfung der Rechtfertigung steht fest, ob eine Verletzung vorliegt (bei fehlender Rechtfertigung) oder nicht (bei gegebener Rechtfertigung).
P.S. Über Normzitate kann man ja streiten. Es gibt aber einige Autoren, die das sehr ernst nehmen, nur deshalb der folgende Hinweis.
Werden innerhalb einer Aufzählung („Paragraphenketten“) Untergliederungen (Absätze, Sätze usw.) zitiert, ist nach dem Wechsel zurück auf die höhere Ebene die betreffende Gliederungseinheit zu wiederholen.
(Gröpl, Staatsrecht I, 6. Auflage 2014, Rn. 58)
Dabei nennt Gröpl das allgemeine Persönlichkeitsrecht als häufiges Klausurenbeispiel, bei dem wie folgt zu zitieren sei:
Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (statt Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG).
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