Heute betrachten wir die Fall-Bearbeitung „(Original-)Referendarexamensklausur – Strafrecht: Erpressung, versuchter Rücktritt und Tankkartenmissbrauch“ von Bernd Hecker im JuS-Probeexamen 2015, S. 36ff.
Auffällig ist, dass die Lösung ohne Obersätze auskommt. Dazu ein paar Beispiele.
Auf Seite 37 lesen wir:
A. Geschehen im Wohnmobil
I. §§ 253 I, 255 StGB – Abnötigen eines Forderungsverzichts
1. Objektiver Tatbestand
a) A muss mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gedroht haben.
Ebenfalls auf Seite 37 heißt es:
II. §§ 253 I, 255 StGB – Abnötigen einer geldwerten Dienstleistung
1. Objektiver Tatbestand
a) Der von §§ 253 I, 255 geforderte Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels liegt vor (s.o.).
Oder auf Seite 39:
B. Vorfall in der Wohnung der Eheleute A und E
I. §§ 212 I, 22 StGB
1. Tatentschluss
Als A der E mindestens fünf wuchtige Schläge mit der Schneideseite der Machete gegen Oberkörper, Arme und Hände versetzte, nahm er laut Sachverhalt billigend in Kauf, dass E durch die Schläge auch getötet werden könnte.
Je nach Korrektor könnten die fehlenden Obersätze bemängelt werden. In der JuS 2007, 742 (743) schreibt Kristian Kühl zu diesem Thema:
Hinweis: Dieser nicht zu vernachlässigende Obersatz der Prüfung eines oder mehrerer Delikte könnte auch so formuliert werden, dass […].
Wir sehen: Der Obersatz ist nach Kühl nicht zu vernachlässigen. Nun könnte man sich darauf berufen, dass der Obersatz möglicherweise bereits in der Überschrift untergebracht ist. Betrachten wir aber die Musterlösung von Kristian Kühl, so fällt auf, dass bei ihm „sprechende Überschriften“ mit vollständigen Obersätzen kombiniert werden, wie zum Beispiel hier:
1. Handlungsabschnitt: Das Geschehen im Hinterhof – Strafbarkeit des M
A. Strafbarkeit wegen Raubes oder Nötigung, § 249 I StGB oder § 240 I, II StGB, durch gewaltsames Abnehmen der Waren
Indem M dem L die Fleisch- und Wurstwaren abnahm, könnte er sich eines Raubes oder einer Nötigung gem. § 249 I oder § 240 I, II schuldig gemacht haben.
Als Studierender steht man also vor einem Dilemma: Obersätze ja (zB Kühl) oder nein (zB Hecker)? Da der Vorwurf, Obersätze würden fehlen, sicher schwerer wiegt als der Vorwurf, man hätte die Obersätze weglassen müssen, sollte man mit Obersätzen arbeiten. Das Prinzip sich zu fragen, welcher Vorwurf schwerer wiegt, hilft übrigens auch bei anderen Risiko-Abwägungssituationen in Klausur und Hausarbeit.
Neben dem Aspekt der fehlenden Obersätze fällt bei Hecker noch etwas bei der Versuchsprüfung auf, was ebenfalls nicht unriskant ist. Auf Seite 39 schreibt er:
B. Vorfall in der Wohnung der Eheleute A und E
I. §§ 212 I, 22 StGB
1. Tatentschluss
Als A der E mindestens fünf wuchtige Schläge mit der Schneideseite der Machete gegen Oberkörper, Arme und Hände versetzte, nahm er laut Sachverhalt billigend in Kauf, dass E durch die Schläge auch getötet werden könnte. Folglich hatte er den Tatentschluss zur Tötung der E in Form des Eventualtötungsvorsatzes.
Sollte man einen Versuch so prüfen? Das VG München, Urteil vom 23.05.2006, M 4 K 05.2586 wäre damit wohl nicht ganz einverstanden. Dort heißt es:
Zum anderen kann der Prüfer durchaus verlangen, dass die Feststellung, dass der Versuch strafbar sei, durch die Angabe der einschlägigen Gesetzesbestimmung belegt wird; von dieser Pflicht ist der Klausurbearbeiter auch dann nicht befreit, wenn er in der Überschrift diese Bestimmung bereits erwähnt hat, zumal dann, wenn – wie hier – eine größere Anzahl von Gesetzesbestimmungen zitiert wird, in denen sich „nebenbei“ auch diejenige zur Versuchsstrafbarkeit findet.
Das VG München bemängelt, dass der Prüfling die Feststellung der Strafbarkeit des Versuchs nicht normativ belegt hat. Dabei genüge es auch nicht, wenn sich die Norm in der Überschriftenkette befände. In der Lösung von Hecker fehlt ein Hinweis auf die Strafbarkeit des Versuchs vollständig. Man vermisst also nicht nur einen normativen Beleg, sondern bereits die Feststellung, dass der Versuch strafbar ist. Auch findet sich die Norm nicht in der Überschriftenkette.
Merke: Wir sollten in Klausuren kurz zur Strafbarkeit des Versuchs Stellung nehmen und dann auch die entsprechenden Normen zitieren.
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