Heute geht es um einen Aspekt aus der Fall-Bearbeitung „Referendarexamensklausur – Öffentliches Recht: Kommunalrecht und Verwaltungsprozessrecht – Partnerstadt Pjöngjang“ von Björn Schiffbauer in der JuS 2015, 548ff.
Auf Seite 553 schreibt Schiffbauer:
Der Ratsbeschluss muss geltendes Recht verletzen. Dies ist dann der Fall, wenn er keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft iSv Art. 28 II GG (und Art. 78 NRWVerf.) betrifft, der Stadt dafür also keine Verbandskompetenz zukommt. Verbandskompetenz besteht grds. für Angelegenheiten, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder einen spezifischen Bezug zur örtlichen Gemeinschaft haben.
In Fußnote 44 findet sich dazu BVerfGE 8, 122 (134) = NJW 1958, 1341 (Volksbefragung über Atomwaffen) als Beleg. Werfen wir einen Blick in die entsprechende Passage:
Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises sind nur solche Aufgaben, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben und von dieser örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden können.
Was fällt auf? Schiffbauer bezieht sich zwar auf dieses Urteil, lässt aber den letzten Halbsatz wegfallen. Doch was stimmt nun? Die Formulierung in der Fall-Bearbeitung oder die Formulierung in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts? Man könnte geneigt sein zu sagen, dass natürlich die Formulierung in dem Bundesverfassungsgerichts-Urteil heranzuziehen ist.
Des Rätsels Lösung ist, dass sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Punkt nach der Entscheidung aus dem achten Band zum Thema Volksbefragung über Atomwaffen geändert hat. Dazu lesen wir bei Mager, Einrichtungsgarantien, 2003, S. 340:
Als Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft hatte das Bundesverfassungsgericht ursprünglich solche Aufgaben betrachtet, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben und von dieser örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden können. Das letztgenannte Merkmal ließ das Bundesverfassungsgericht nunmehr fallen und stellte ausdrücklich fest: „auf die Verwaltungskraft der Gemeinde kommt es hierfür nicht an.“ Materielles Kriterium sei allein der spezifische Bezug der Aufgabe zu solchen Bedürfnissen und Interessen, die den Gemeindeeinwohnern gemeinsam seien und sich aus ihrem Zusammenleben in der (politischen) Gemeinde ergäben.
Richtig gehen wir mit der Problematik in einer Klausur also so um: Wenn wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, was Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft iSv Art. 28 II 1 GG sind, beziehen wir uns auf die Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, Beschluss vom 23.11.1988, 2 BvR 1619, 1628/83, BVerfGE 79, 127 (151f):
Sichert mithin das in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zum Ausdruck gebrachte Aufgabenverteilungsprinzip den Gemeinden auch gegenüber den Kreisen einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich, so ist, was zu diesen Angelegenheiten gehört, nach der doppelten Funktion dieses Begriffs zu bestimmen:
Einerseits ist die gemeindliche Allzuständigkeit gegen den Zuständigkeitsbereich der allgemeinen Politik abzugrenzen (vgl. BVerfGE 8, 122 (134) und oben 2),
andererseits der grundgesetzlich gewollten Teilnahme der Bürger an der öffentlichen Verwaltung ihr Betätigungsfeld zuzuordnen.
Hiernach sind Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben (vgl. insoweit BVerfGE 8, 122 [134]; 50, 195 [201]; 52, 95 [120]), die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen;
auf die Verwaltungskraft der Gemeinde kommt es hierfür nicht an.
Um nochmal zu der Fall-Bearbeitung von Schiffbauer zurückzukehren: Die Formulierung in der Lösung ist richtig – die Beleg-Fußnote aber falsch.
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