Heute soll es mal wieder um einen Aspekt gehen, der in allen verwaltungsprozessualen Klausuren erwähnt werden muss. Es geht um die Frage, inwieweit zu begründet ist, dass eine Streitigkeit „nichtverfassungsrechtlicher Art“ vorliegt. In einer aktuellen Fall-Lösung aus der RÜ 2015, 391 (392) schreibt Horst Wüstenbecker dazu:
2. Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art und keinem anderen Gericht zugewiesen, sodass an sich der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet ist.
(Hervorhebung im Original)
Der Autor ist also der Ansicht, dass die Tatsache, dass die Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ist, keiner Begründung bedarf. Andere Autoren handhaben das anders.
Christoph Enders schreibt in einer Fall-Lösung in der JuS 2013, 54 (56):
Als Streitigkeit zwischen Hoheitsträger und Bürger ist sie auch nichtverfassungsrechtlicher Art.
Es wird also kurz begründend angedeutet, warum die Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ist („Als Streitigkeit zwischen Hoheitsträger und Bürger“).
Etwas ausführlicher fällt die Begründung bei Simon Kempny und Tom Tenostendarp in der JuS 2015, 441 (443) aus:
Verfassungsrechtlicher Art iSd § 40 I 1 VwGO ist eine Streitigkeit nur dann, wenn Verfassungsorgane oder vergleichbar am Verfassungsleben Beteiligte um Verfassungsrecht streiten (sog. doppelte Verfassungsunmittelbarkeit). Weder Kläger noch Beklagter sind Verfassungsorgane oder vergleichbar am Verfassungsleben Beteiligte, und sie streiten auch nicht über Verfassungsrecht. Die Streitigkeit ist demnach nichtverfassungsrechtlicher Art.
Wir sehen: Es handelt sich um eine unproblematische Fallkonstellation und trotzdem wird definiert und subsumiert.
Noch ausführlicher ist die Darstellung bei Nils Schaks in der JA 2014, 40 (41):
Bei einem Streit zwischen Bürger und Verwaltung über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns fehlt es an der sog. doppelten Verfassungsunmittelbarkeit. Denn hierfür müssten zwei unmittelbar am Verfassungsleben beteiligte Rechtssubjekte unmittelbar über Auslegung und Anwendung der Verfassung streiten […]. Das LAGESO und der Apotheker als Bürger sind jedoch keine unmittelbar am Verfassungsleben Beteiligte im vorgenannten Sinne, sodass eine Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt. Es ist irrelevant, dass Grundrechte für die rechtliche Beurteilung von Bedeutung sind, wie sich nicht zuletzt aus Art. 94 II 2 GG, § 90 II 1 BVerfGG ergibt […].
Im Vergleich zu den bisher betrachteten Darstellungen wird die Argumentation hier um einen weiteren Aspekt ergänzt: Aus der Tatsache, dass Grundrechte für die rechtliche Beurteilung von Bedeutung sind, folgt nicht die Notwendigkeit, eine verfassungsrechtliche Streitigkeit anzunehmen.
In einer Klausur stehen wir also vor der Frage, wie ausführlich begründet werden muss, dass es sich um eine nicht-verfassungsrechtliche Streitigkeit handelt. Vieles scheint dafür zu sprechen, dass zumindest eine kurze Begründung sinnvoll ist. Je nach selbst gewählter „Ausbaustufe“ kann man sich an den angeführten Zitaten orientieren.
Hi, Was ist denn eine brauchbare Definition für „Verfassungsleben“ bzw „unmittelbar am Verfassungsleben Beteiligte“?
Grüße