Aktuell berichtet der Deutschlandfunk im Internet:
Pressevertreter haben keinen Anspruch darauf, dass ihnen der Bundesnachrichtendienst Auskunft über die umstrittene NSA-Spionageliste gibt.
Und fährt dann fort:
Das entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. In der Begründung der Richter heißt es, einer Offenlegung stünden berechtigte schutzwürdige Interessen des BND entgegen. Ein Anspruch auf Auskunft ergebe sich nicht aus dem Grundrecht der Pressefreiheit.
Auch das Aktenzeichen wird mit angegeben:
6 VR 1.15
Da sollte man ja nun meinen, es gäbe schon eine „Begründung der Richter“.
Dem ist aber nicht so. Das einzige, was bisher veröffentlicht wurde, ist eine Pressemitteilung des Gerichts. Auf der Website des Gerichts ist das so ausgewiesen:
Was den Beschluss selbst angeht, erfährt man an gleicher Stelle (nach Anklicken von „noch nicht zur Verfügung“):
Es gibt also noch keine Begründung für den Beschluss aus der Feder der Richter. Folglich kann man daraus (Deutschlandfunk: „In der Begründung der Richter heißt es“) auch nicht zitieren.
Warum sollte diese Erkenntnis im Jura-Studium von Interesse sein?
Die Antwort ist nahe liegend: Weil in Haus- und Seminararbeiten die Gefahr droht, Pressemitteilungen als Entscheidungsbegründung zu zitieren, wie dies der Deutschlandfunk tut. Dabei riskiert man dann unterschiedlich schwere Korrektur-Missfallensbekundungen. Solche Fälle hat es schon gegeben.
Also:
Vorsicht, wenn im Internet von Entscheidungsbegründungen die Rede ist, obwohl nur eine Pressemitteilung vorliegt.
Übrigens steht der Deutschlandfunk im vorliegenden Fall nicht allein. So schreibt z.B. der Tagesspiegel:
Pressevertreter haben keinen Anspruch darauf, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) ihnen Auskunft zur sogenannten Selektorenliste des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA) erteilt. Einer Offenlegung stünden „berechtigte schutzwürdige Interessen“ des BND entgegen, entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss. Geklagt hatte eine Tageszeitung. Die Liste erlaubt Rückschlüsse auf Spionageziele der NSA in Deutschland und anderen europäischen Staaten. (AZ: BVerwG 6 VR 1.15)
Veröffentlich ist der Beschluss nicht (s.o.). Deswegen ist auch die Berichterstattung bei der Legal Tribune Online mangels eines veröffentlichten Beschlusses unzutreffend:
Pressevertreter haben keinen Anspruch darauf, dass ihnen der BND Auskunft über die umstrittene Spionageliste des US-Geheimdienstes NSA erteilt. Das hat das BVerwG in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss entschieden.
Schließen wir die tour d´horizon mit einem Blick in beck aktuell:
Das BVerwG begründete seine Ablehnungsentscheidung damit, dass sich ein Anspruch auf die begehrte Auskunft nicht aus dem Grundrecht der Pressefreiheit ergebe.
Die Gefahr, eine nicht vorhandene Beschluss-Begründung als real existierend anzunehmen, ist also vielfach präsent und lauert bei verschiedenen Quellen von Reputation.
Update (04.08.2015):
Die Legal Tribune Online hat ihren Beitrag jetzt präzisiert:
* Anm. d. Red.: Hier stand zunächst „veröffentlichten“ statt „bekanntgegebenen“. Der Beschluss selbst ist aber noch nicht verfügbar, sondern lediglich die die wesentlichen Erwägungen schildernde Pressemitteilung. Geändert am 3.8.2015, 10:41
Zugleich hat mir Constantin van Lijnden, der stellvertretende Chefredakteur der LTO, wie folgt geschrieben:
Sie haben Recht, wir sprechen dann normalerweise auch von „bekanntgegebenen“, was wir nun nachträglich klargestellt haben. Allerdings werden die in der Pressemitteilung des BVerwG mitgeteilten Gründe durchaus mit den für die jeweilige Entscheidung zuständigen Richtern abgestimmt. Die volle Entscheidung geht mehr in die Tiefe, enthält aber selten wesentliche neue Gesichtspunkte, die nicht bereits in der PM erwähnt wurden.
Ich danke für die Erläuterung, die dazu beiträgt, den Ablauf besser zu verstehen.
Da sind Sie aber zu streng. Einmal deshalb, weil der Beschluss „Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt“ durchaus „veröffentlicht“ ist, wenn der Senat durch die Pressestelle verbreiten lässt, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei abgelehnt worden.
Aber auch deshalb, weil die Pressemitteilung natürlich vom Senat selbst verfasst worden ist und deshalb authentisch die wesentlichen Gründe der Entscheidung wiedergibt.
Liebe/r 123, darüber lässt sich trefflich streiten. Jedenfalls hat die LTO ihre Berichterstattung präzisiert (siehe Update im Beitrag). Damit habe ich wenigstens eine Redaktion auf meiner Seite :-). Die redaktionelle Regel, bei Pressemitteilungen zu schreiben, dass dadurch eine „Entscheidung bekanntgegeben wurde“ finde ich ganz vernünftig. Bei der Gelegenheit übrigens meinen Dank für Ihre kritische Begleitung, die mittlerweile ja bereits Brauchtum-Status hat. Beweis: „Einmal ist keinmal, was zweimal geschieht, ist Tradition; was dreimal geschieht, ist Brauchtum.“
[…] lernen wir nebenbei: Pressemitteilungen darf man nicht immer vollständig vertrauen […]