Man stelle sich folgenden Prüfungsdialog vor:
Prüfer: Sagt Ihnen das BGH-Urteil „Sommer unseres Lebens“ etwas?
Prüfling: Ja.
Prüfer: Könnten Sie kurz den wesentlichen Inhalt zusammenfassen?
Prüfling: Anbieter von offenen W-Lans müssen für ihre Nutzer haften, sollten die illegal Musik oder Filme herunterladen. Damit müssen sie für alles geradestehen, was nicht anderen Leuten angelastet werden kann.
Prüfer: Woher haben Sie denn das?
Prüfling: Aus der FAZ.
Prüfer: ???
Da der Prüfling (in dem fiktiven Prüfungsdialog) wirklich aus der FAZ zitiert hat, sich aber ein Statement dieser Art wohl im Prüfungsverlauf nicht besonders günstig auswirken würde, empfiehlt sich eine genauere Betrachtung der Sachlage.
In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 19.7. befasst sich Corinna Budras auf S. 36 mit der „W-Lan-Wüste Deutschland“ und fährt dann fort:
Das ist erschütternd, hat aber handfeste Gründe, juristischer und gesellschaftlicher Art. Am einfachsten aus dem Weg zu räumen sind wohl die juristischen, denn die resultieren aus einer Besonderheit der Rechtsprechung. Besteht der Verdacht, dass von dem Anschluss aus illegal Musik oder Filme heruntergeladen wurden, muss genau nachvollzogen werden können, wer es war. Sonst wird der Betreiber des Hotspots herangezogen – und das kann teuer werden. Denn nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2010 müssen Anbieter dieser offenen W-Lans für ihre Nutzer haften, sollten die illegal Musik oder Filme herunterladen. Damit müssen sie für alles geradestehen, was nicht anderen Leuten angelastet werden kann. Das ist zwar praktisch für Künstler und Autoren, deren Urheberrechte verletzt werden. Selbst wenn der Täter unerkannt entwischt, können sie sich immer noch an denjenigen halten, der das Netz zur Verfügung stellt. Aber für den großzügigen Anbieter des kostenlosen Surfens ist diese Rechtsprechung ein Desaster.
(Hervorhebung nicht im Original)
Mit dem „ Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2010“ ist das BGH-Urteil vom 12.05.2010 (I ZR 121/08) gemeint.
In diesem Urteil hat der BGH entschieden:
Der Inhaber eines WLAN-Anschlusses, der es unterlässt, die im Kaufzeitpunkt des WLAN-Routers marktüblichen Sicherungen ihrem Zweck entsprechend anzuwenden, haftet als Störer auf Unterlassung, wenn Dritte diesen Anschluss missbräuchlich nutzen, um urheberrechtlich geschützte Musiktitel in Internettauschbörsen einzustellen.
Es besteht also ein Unterlassungsanspruch.
Ausdrücklich verneint wurde hingegen ein Schadensersatzanspruch:
Haftet der Beklagte nicht als Täter oder Teilnehmer einer Urheberrechtsverletzung, scheidet ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus. Nicht zu beanstanden ist daher die Abweisung des Zahlungsantrags, soweit die Klägerin Schadensersatz begehrt hat.
Nun zurück zum FAZ-Artikel. Der Satz
Anbieter dieser offenen W-Lans <müssen, M.H.> für ihre Nutzer haften, sollten die illegal Musik oder Filme herunterladen. Damit müssen sie für alles geradestehen, was nicht anderen Leuten angelastet werden kann
ist eine ziemlich gewagte Zusammenfassung für ein Urteil, das einen Schadensersatzanspruch verneint. Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit der „Übersetzung“ juristischer Fachterminologie und das Bemühen um Verständlichkeit:
„Für alles geradestehen“ suggeriert, dass man auch für den entstandenen Schaden einzustehen hat, und gerade das hat der BGH so nicht entschieden.
Aber möglicherweise ist die Lösung des BGH für offene W-Lans bald Schnee von gestern. Das LG München I hat nämlich mit Beschluss vom 18.09.2014 (7 O 14719/12) dem EuGH u.a. die folgende Frage vorgelegt:
IV. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) so auszulegen, dass mit „nicht für die übermittelten Informationen verantwortlich“ bedeutet, dass etwaige Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz, Zahlung der Abmahnkosten und Gerichtsgebühren des aufgrund einer Urheberrechtsverletzung Betroffenen gegen den Zugangs-Provider grundsätzlich oder jedenfalls in Bezug auf eine erste festgestellte Urheberrechtsverletzung ausgeschlossen sind?
Die europarechtliche Dimension spricht Budras kurz an, indem sie ein Schreiben der Initiative Freifunk an die Europäische Kommission erwähnt. Der Vorlagebeschluss des LG München I bleibt aber leider unerwähnt.
Übrigens erklärt sich der Name „Sommer unseres Lebens“ für das eingangs erwähnte BGH-Urteil daraus, dass es darin um den Download des Musiktitels „Sommer unseres Lebens“ von Sebastian Hämer ging. Wer sich das Lied anhören will, kann dies bei YouTube tun. Gefunden wird die Datei so:
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