Die Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen: Ein klausurenpraktischer Tipp

In dem Aufsatz von Alexander Stöhr und Torben Illner in der JuS 2015, 299ff ist mir zusätzlich zu meinem Beitrag bezüglich des „Blue-pencil-Tests“ eine weitere Ergänzung aufgefallen, die man vornehmen könnte.

Auf Seite 299 schreiben die Autoren:

II. Historische Entwicklung

Während die Notwendigkeit einer arbeitsvertraglichen Inhaltskontrolle inzwischen weitgehend anerkannt ist, unterlag der Maßstab einem mehrfachen Wandel und ist auch heute noch umstritten. Seit einer Entscheidung des BGH im Jahr 1956 orientierte sich die Rechtsprechung am Maßstab von Treu und Glauben iSv § 242. Das 1977 vom Gesetzgeber eingeführte AGBG als spezialgesetzliche Inhaltskontrolle von Verträgen schied auf Grund der Bereichsausnahme des § 23 I AGBG als Maßstab für eine Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen aus.

Wir lernen hier also, dass das frühere AGBG in § 23 eine Bereichsausnahme für Arbeitsverträge enthielt. Werfen wir einen Blick in die Norm:

(1) Dieses Gesetz findet keine Anwendung bei Verträgen auf dem Gebiet des Arbeits-, Erb-, Familien- und Gesellschaftsrechts.

Weiter im Text bei Stöhr/Illner:

Erst die Verlagerung der Regelungen des AGBG in die §§ 305 ff. und die damit verbundene Abschaffung der Bereichsausnahme für Arbeitsverträge machte es möglich, Arbeitsverträge am Maßstab der AGB-Kontrolle zu überprüfen. Als Besonderheit verblieb zum einen § 310 IV 1 als Bereichsausnahme für Tarifverträge sowie Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Zum anderen stellt § 310 IV 2 klar, dass die „im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen“ sind.

Schauen wir uns § 310 IV BGB an:

(4) Dieser Abschnitt findet keine Anwendung bei Verträgen auf dem Gebiet des Erb-, Familien- und Gesellschaftsrechts sowie auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Bei der Anwendung auf Arbeitsverträge sind die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen; § 305 Abs. 2 und 3 ist nicht anzuwenden. Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen stehen Rechtsvorschriften im Sinne von § 307 Abs. 3 gleich.

Klar ist also, dass Arbeitsverträge heute einer AGB-Kontrolle unterliegen. Bleibt aber noch die Frage offen, ob man in einer Klausurlösung auf die frühere, anders gelagerte Rechtslage anspielen sollte? Nach Stöhr/Illner bedarf es einer solchen Erwähnung (wohl) nicht. Auf Seite 300 heißt es zu der arbeitsrechtlichen AGB-Kontrolle in der Fallbearbeitung:

Die erfolgreiche Prüfung von AGB in einer Klausur erfordert sichere Kenntnisse von Inhalt und Systematik der §§ 305 ff. Zwar sind die Regelungen zusammenhängend kodifiziert, jedoch unübersichtlich gestaltet und hinsichtlich der Systematik komplex, so dass die Regelungen nicht ohne Weiteres verstanden werden können. Bei arbeitsrechtlichen Klausuren sind zudem weitere Besonderheiten zu beachten, § 310 IV 2.

Schließlich gehen die Autoren noch auf § 310 IV 1 BGB ein. Diese Norm haben wir uns ja bereits weiter oben gemeinsam angeschaut. Dazu schreiben sie:

Zweck des Ausschlusses von Tarifverträgen ist es, den einbezogenen Tarifvertrag als Gesamtwerk zu sichern und die ausgewogenen Bestimmungen nicht durch punktuelle Eingriffe auszuhebeln. Geschützt wird somit die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien aus Art. 9 III GG.

Stöhr und Illner thematisieren an dieser Stelle nur die Tarifverträge. Wenn man § 23 I AGBG aF erwähnen will, wäre hier der richtige Ort, dies zu tun.

Dass ein solcher kleiner Schlenker in Klausuren gerne gesehen wird zeigt u.a. eine Fall-Lösung der Universität Frankfurt. Dort heißt es auf Seite 3f:

1. Sachlicher Anwendungsbereich
Entgegen der vormaligen Bestimmung des § 23 AGBG a.F. finden die §§ 305 – 310 BGB gemäß § 310 Abs. 4 S. 1 BGB auf Arbeitsverträge Anwendung, so dass der sachliche Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle eröffnet ist.

Blumen2An dieser Formulierung kann und sollte man sich auch für eigene Klausuren orientieren. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass Korrektoren einen solchen Satz wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Außerdem handelt es sich um einen Aspekt, den man in jeder Klausur zur AGB-Kontrolle von Arbeitsverträgen unterbringen kann. Man kann ihn sich also merken und in arbeitsrechtlichen Klausuren unabhängig von dem konkreten Inhalt der zur Prüfung gestellten AGB erwähnen. Dabei hat man bereits einen Satz, den man in der Klausur auf jeden Fall sicher zu Blatt bringen kann :-). Übrigens wird auch in mündlichen Prüfungen gerne nach früheren Rechtszuständen und der Genese von Normen gefragt. Auch da erweist sich die Kenntnis des § 23 AGBG aF als nützlich.

2 comments

  1. Nach der prinzipiellen Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB ist immer noch zu prüfen, ob es sich bei der in Rede stehenden Klausel überhaupt um eine AGB handelt. Dazu müssten entweder die Voraussetzungen des § 305 BGB oder des § 310 III Nr. 2 BGB (Verbrauchervertrag) erfüllt sein.

    Sofern man auf § 310 III Nr. 2 BGB abstellt, sollte die Verbrauchereigenschaft diskutiert und im Ergebnis bejaht werden, da heute die meisten Klausuren auf eine AGB-Kontrolle zugeschnitten sein dürfen und nicht auf eine Prüfung des § 242 BGB.

    • klartext-jura sagt:

      Danke für diese ergänzende Bemerkung. Das ist natürlich richtig. Mein Thema war eigentlich mehr die Frage, ob sich in einer Klausurlösung ein „historischer Schlenker“ auf § 23 des alten AGB-Gesetzes empfiehlt. Mein Eindruck war auf Grund des zitierten Beispiels, dass dies teilweise erwartet wird.

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