Wer dem von Professoren gerne gegebenen Rat folgte, studienbegleitend die juristischen Themen in einer guten Tageszeitung zu verfolgen, musste am 7.6. bei der Lektüre des Beitrags „Willkommen im geschlossenen System“ von Thomas Thiel im Feuilleton der FAZ (S. 9) ins Grübeln geraten.
War dort doch zu lesen:
Der nationale Gesetzgeber stärkt mit dem VG-Wort-Urteil die Rechte der Autoren, der europäische Ministerrat beschneidet ihnen hinterher mit der Publikationspflicht die grundrechtlich garantierte Verfügungsgewalt über ihr geistiges Eigentum.
Gut, wird man sagen, diesen offensichtlichen Lapsus kann man verkraften. Dass der Gesetzgeber Autoren nicht durch Urteile zu Hilfe kommt, weiß man. Schwieriger ist aber dann das Rätsel der Richtlinie aufzuklären, von der in dem Beitrag mehrfach die Rede ist.
Zunächst erfahren wir:
Die Minister des EU-Wettbewerbsrats haben sich darauf verständigt, alle öffentlich finanzierten wissenschaftlichen Publikationen auf Open Access umzustellen.
Eine „Verständigung“ also.
Oder eine „Vereinbarung“:
Zwar hat die Vereinbarung keine Rechtskraft, jedes Land kann sie ungestraft ignorieren.
Dann aber mutiert das Gebilde zur „Richtlinie“:
Bisher ist Open Access primär auf Zeitschriften ausgerichtet. In der neuen Richtlinie sind aber plötzlich alle Publikationsformen inbegriffen.
Und in einem weiteren Schritt vervielfältigt es sich in den Plural:
Die Richtlinien sind glücklicherweise so schwammig formuliert, dass sie dem nationalen Gesetzgeber viel Freiraum lassen. Hoffentlich nutzt er ihn.
Also mehrere umzusetzende Richtlinien?
Nein, doch nur eine, denn der Artikel kehrt am Ende wieder zum Singular zurück:
Wie man die Richtlinie aber dreht und wendet: sie ist ein Grabstein für das gedruckte Buch.
Vorab: Dem Gesetzgeber kann Entwarnung gegeben werden. Umzusetzende Richtlinien stehen nicht im Raum.
Aber was war geschehen?
Am 26. und 27.5. kam der Rat für Wettbewerbsfähigkeit zu einer Sitzung zusammen.
Der Rat für Wettbewerbsfähigkeit (Competitiveness Council) ist eine der Formationen, in denen der Rat der Europäischen Union tagt.
Am 27.5. wurden – als „non-legislative activity“ – Schlussfolgerungen des Rates für den „Übergang zu einem System der offenen Wissenschaft“ beschlossen.
Dieser Text bildete den Anlass für den FAZ-Artikel, in dem des weiteren geklagt wird:
Die neue Richtlinie ist im Internet kaum zu finden und wurde den Verlagen nicht kommuniziert.
Dass man „die neue Richtlinie“ im Internet nicht finden kann, ist klar: Es gibt sie nicht. Aber kommuniziert wurde der einschlägige Text denn doch im Internet – auch für Verlage zugänglich.
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