Bei Peter Krebs lesen wir in „Hinweise zu der Anfertigung von Seminararbeiten“ auf Seite 3:
Finden sich in einer Fußnote gerichtliche Entscheidungen und Literatur ist grundsätzlich mit den Entscheidungen zu beginnen. Bei Rechtsprechungszitaten muss mit den amtlichen Fundstellen (BGH NJW 2002, 818, 820) begonnen werden, nachfolgend sind Fundstellen in anderen Zeitschriften aufzuführen. Achten Sie darauf, keine wechselnden Zitate für die gleichen Entscheidungen zu verwenden!
Was soll man davon halten?
Bei dem Hinweis in der Klammer handelt es sich wohl um ein Beispiel, denn die zitierte Entscheidung befasst sich mit der Abwasserbeseitigung durch Träger öffentlicher Verkehrsanlagen und hat mit der Frage der Zitierweise von Rechtsprechung nichts zu tun. Offensichtlich soll dieses Beispiel illustrieren, wie man ein Rechtsprechungszitat mit einer amtlichen Fundstelle belegt. Und das führt zu dem Schluss, dass ein Abdruck in der NJW allem Anschein nach nicht nur als „amtliche Fundstelle“ eingestuft wird, sondern dass auch mit diesem „amtlichen“ Beleg begonnen werden „muss“. Bei Nichtbeachtung dieser „Muss“-Vorschrift drohen Konsequenzen:
Die Hinweise sind für die Anfertigung der Seminararbeit verbindlich und in jedem Fall zu beachten. Verstöße gegen die Hinweise werden bei der Bewertung berücksichtigt!
(Krebs, aaO, S. 1)
Trotzdem möchte man zur Nichtbefolgung dieser Vorschrift raten. Denn die NJW hat den Status der Amtlichkeit (noch) nicht erreicht. Zwar hat sich der BGH im Zusammenhang mit der Anwaltshaftung zur Lektüre der NJW geäußert.
Die NJW bezieht der Prozeßbevollmächtigte des Bekl. nach dessen eigenem Vorbringen regelmäßig. Auch wenn man – wie offenbar der Prozeßbevollmächtigte selbst – davon ausgeht, daß er die höchstrichterlichen Entscheidungen in dieser allgemein verwendeten Wochenschrift, die nicht auf ein besonderes juristisches Fachgebiet beschränkt ist, unverzüglich durchsehen muß, liegt hier kein Verschulden vor.
(BGH, Beschl. v. 20.12.1978, IV ZB 115/78, NJW 1979, 877)
Damit hat der BGH aber nur einen eigenen Vortrag des Anwalts aufgegriffen und weiter verfolgt. Dass die Passage so zu verstehen ist, hat der BGH anschließend noch einmal ausdrücklich klargestellt:
Auch wenn man – wie der Prozeßbevollmächtigte in jenem Falle selbst – davon ausgehe, daß der Anwalt die Neue Juristische Wochenschrift, eine allgemeine juristische Zeitschrift, alsbald nach deren Erscheinen durchsehen müsse, sei die verspätete Durchsicht nach den konkreten Umständen des Falles entschuldbar gewesen. In der Entscheidung wurde auf die letztgenannte Zeitschrift abgestellt, weil der Anwalt gerade sie bezog.
(BGH, Beschl. v. 07.02.1979, IV ZB 118/78, juris, Rn. 8; Hervorhebung nicht im Original)
Beim BGH lautet der einschlägige Grundsatz in „fachzeitschriften-neutraler“ Formulierung wie folgt:
Der Anwalt muß sich deshalb über die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht nur anhand der amtlichen Sammlungen, sondern auch der einschlägigen Fachzeitschriften unterrichten […].
(BGH, Urt. v. 21. 9. 2000, IX ZR 127/99, juris, Rn. 49)
Es gibt aber auch Gerichte, die sich unmittelbar auf die NJW beziehen:
Dies [die Rechtsprechung, M.H.] hätte dem Bekl. bekannt sein können und müssen. Das Urteil des BGH vom 9. 3. 1981 war in NJW 1981, Heft 25, vom 16. 6. 1981, das weitere Urteil vom 16. 3. 1981 in Heft 27 vom 30. 6. 1981 veröffentlicht. Das Schlußurteil ist dem Bekl. am 23. 9. 1981, mithin etwa 3 Monate nach den genannten Veröffentlichungen zugestellt worden. Hätte der Bekl. “der jedem Rechtsanwalt obliegenden Verpflichtung, sich in den zur Verfügung stehenden Fachzeitschriften über den Stand der neueren Rechtsprechung zu unterrichten”, genügt (vgl. BGH, NJW 1974, 1866 (1868); s. auch BGH, NJW 1979, 877), so hätte er die genannten Entscheidungen kennen können und dem Kl. zum Zwecke der Schadensabwendung zur Einlegung der Berufung raten müssen.
(LG Braunschweig, Urt. v. 28.11.1984, 2 O 434/84, NJW 1985, 1171, 1172)
Der Beschluss des Bundesgerichtshof vom 2. Juni 2005 – V ZB 32/05 – ist im 29. Heft der NJW, d. h. in der 29. Woche (18. bis 24. Juli 2005) des Jahres 2005, erschienen und konnte daher bei der Einleitung des Verfahrens gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG am 1. September 2005 als allgemein bekannt vorausgesetzt werden.
(KG Berlin, Beschl. v. 13.04.2006, 1 W 108/06, Rn. 5)
Das verleiht der NJW zwar einen besonderen Status, macht sie aber (noch) nicht amtlich.
Ist es denn, wenn man es schon genau nimmt, um die „Amtlichkeit“ der allseits so genannten „amtlichen Sammlungen“ so viel besser bestellt?
Obwohl das nicht das Thema des Blog-Eintrags war, ist das doch – wie man zu sagen pflegt – eine „gute Frage“. Deswegen hier ein paar Gedanken dazu.
An vielen Fakultäten wird den Studierenden per Arbeitsanleitung aufgegeben, BGHZ als „amtliche“ Sammlung mit Priorität zu zitieren, bspw. in Trier.
(https://www.uni-trier.de/index.php?id=52132).
Leichte Zweifel finden sich in den Manuskripthinweisen der Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung, in denen amtlich in Anführungszeichen gesetzt wird.
In einer Handreichung der Universität Münster ist gleichfalls mit leichter Skepsis von „quasi-amtlichen Entscheidungssammlungen“ die Rede.
Entschieden ist die Frage aber, wie Reinhard Walker berichtet, durch den BGH selbst:
http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=19980034, Abs. 15