Vor zwei Wochen ging das Thema der „Mietpreisbremse“ (§ 556d BGB) durch die Medien. Anlass war ein Hinweisbeschluss der 67. Kammer des LG Berlin, in dem die Auffassung des Gerichts zum Ausdruck kam, § 556d BGB sei verfassungswidrig. Für das konkrete Verfahren spielte diese Problematik dann keine Rolle mehr.
In der Berichterstattung über diesen Fall kam öfter zur Sprache, wer die Kompetenz habe, eine Rechtsnorm für verfassungswidrig zu erklären. Dazu konnte man bei DerWesten lesen:
Gekippt ist die Regelung zur Mietpreisbremse im Bürgerlichen Gesetzbuch aber nicht: Nur das Bundesverfassungsgericht darf eine Rechtsnorm für verfassungswidrig erklären.
Das führt nun zu der Frage: Trifft es zu, dass nur das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsnorm für verfassungswidrig erklären darf?
In dieser Allgemeinheit ist die Behauptung nicht richtig. Vielmehr muss zwischen vor- und nachkonstitutionellen Normen unterschieden werden. Schon 1953 hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen:
Der Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht nach Art 100 Abs 1 S 1 GG unterliegen nicht solche Gesetze, die vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, dem 24. Mai 1949, verkündet worden sind.
Sie sprechen immer von „Recht“, von „Normen“ und von „Rechtsnormen“, auch das juristische Fachblatt „DerWesten“ spricht von „Rechtsnorm“. Art. 100 GG spricht dagegen, wenn man dem BVerfG aaO. glauben darf, vom „Gesetz“. Ist das denn dasselbe?
Und was genau bedeutet „für verfassungswidrig erklären“? Ist das dasselbe wie „für nichtig erklären“? Immerhin gestatten Sie ja auch dem (einfachen) Gericht die „Einschätzung, dass eine Norm verfassungswidrig ist“.
Danke für die Einladung zur terminologischen Präzisierung. Diesmal kann ich Originalantworten des Bundesverfassungsgerichts zitieren :-).
Zu Frage 1:
„Bestimmte Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere über die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm, haben Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz) und gelten daher über den Einzelfall hinaus. Sie werden im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.“
(http://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Wichtige-Verfahrensarten/Wirkung-der-Entscheidung/wirkung-der-entscheidung.html)
„Die abstrakte Normenkontrolle steht einem begrenzten Kreis von Antragstellern offen. Unabhängig von einem konkreten Rechtsstreit und von eigener Betroffenheit des Antragstellers wird die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm unter allen in Frage kommenden Gesichtspunkten überprüft. Das Verfahren ist in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und 2a GG und §§ 76 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt.“
(http://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Wichtige-Verfahrensarten/Abstrakte-Normenkontrolle/abstrakte-normenkontrolle.html)
Aber in der Tat muss man sich fragen, warum hier von „Norm“ die Rede ist, obwohl Art. 100 GG von „Gesetz“ spricht. Die Antwort liegt darin, dass in Art. 100 GG „Gesetz“ im Sinne von „Einzelnorm“ zu verstehen ist:
„Vorlagegegenstand kann immer nur ein ‚Gesetz im Sinne einer einzelnen Norm‘, also nicht das ‚Gesetz als gesetzgebungstechnische Einheit‘ sein.“
(Maunz/Dürig/Dederer, 2016, GG Art. 100 Rn. 77)
Dann passt auch die allgemein übliche Bezeichnung „Abstrakte Normenkontrolle“.
Zu Frage 2:
Wie verhält sich „für verfassungswidrig erklären“ zu „für nichtig erklären“?
Dazu erneut das Bundesverfassungsgericht:
„Ein verfassungswidriges Gesetz erklärt das Bundesverfassungsgericht im Regelfall für nichtig. Die Nichtigkeit wirkt auch in die Vergangenheit und führt rechtlich gesehen zu einem Zustand, als ob das Gesetz niemals erlassen worden wäre. In bestimmten Fällen erklärt das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsnorm lediglich für unvereinbar mit dem Grundgesetz und legt fest, ab wann sie nicht mehr angewendet werden darf.“
(http://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Wichtige-Verfahrensarten/Wirkung-der-Entscheidung/wirkung-der-entscheidung.html)
Dementsprechend wird die Terminologie „verfassungswidrig und nichtig“ verwendet (vgl. z.B. Beschluss vom 03. Juli 2012 – 2 PBvU 1/11, Rn. 88).