Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren – ein Automatismus?

Faßbender schreibt in der JuS 2016, 538 (542):

An der nach § 28 I VwVfG grundsätzlich erforderlichen Anhörung fehlt es zwar, doch ist dies unschädlich, da sie gem. § 45 I Nr. 3, II VwVfG noch bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann. Eine solche Nachholung kann hier bereits darin gesehen werden, dass L mit seinen Einwendungen im Widerspruchsverfahren Gehör gefunden hat.

Würde diese Passage jeden Korrektor zufrieden stellen können?

Es soll nicht um die Frage gehen, ob § 28 I VwVfG ausführlicher geprüft werden sollte. Wer sich dafür interessiert, dem sei der Beitrag „Anhörung gemäß § 28 I VwVfG“ empfohlen.

Heute möchte ich mich mit der Frage beschäftigen, wie die Problematik einer potentiellen Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren in einer Klausur dargestellt werden könnte. Faßbender stellt dazu bloß fest:

Eine solche Nachholung kann hier bereits darin gesehen werden, dass L mit seinen Einwendungen im Widerspruchsverfahren Gehör gefunden hat.

Damit befindet er sich im Einklang mit dem Bundesverwaltungsgericht:

Die nachzuholende Anhörung besteht darin, daß dem Beteiligten Gelegenheit gegeben wird, sich – schriftlich oder mündlich – zu den für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen zu äußern (§ 28 Abs. 1 VwVfG). Ergeht wie im vorliegenden Fall ein mit Gründen versehener Verwaltungsakt mit einer Belehrung darüber, daß dagegen innerhalb eines Monats Widerspruch erhoben werden kann, so muß dem Betroffenen bewußt sein, daß er jetzt Gelegenheit hat, alles vorzubringen, was sich gegen den Verwaltungsakt anführen läßt, und daß er insbesondere zu den in der Verfügung verwerteten Tatsachen Stellung nehmen und weitere ihm bedeutsam erscheinende Tatsachen vortragen kann. Eines besonderen Hinweises darauf bedarf es unter diesen Umständen nicht. Das gilt erst recht, wenn der Betroffene wie hier in der Widerspruchsschrift von der genannten Äußerungsmöglichkeit Gebrauch macht. Es würde den Rechtsschutz des Betroffenen nicht fördern und kann daher vom Schutzzweck des § 28 Abs. 1 VwVfG nicht gefordert sein, mit dem Berufungsgericht von der Behörde zu verlangen, daß sie dem Widerspruchsführer gleichwohl noch durch eine „besondere Maßnahme“ Gelegenheit zur Äußerung zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen gibt.

[…]

Der Anhörungsmangel wird allerdings noch nicht allein dadurch geheilt, daß der Betroffene seine Einwendungen im Wege des Widerspruchs vortragen kann. Die Anhörungspflicht schließt vielmehr ein, daß die Behörde ein etwaiges Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht […].

(BVerwG, Urt. v. 17.08.1982, 1 C 22/81, Rn. 17 f.)

Diese Ansicht ist jedoch nicht unumstritten geblieben. Pünder schreibt in Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2016, § 14 Rn. 81.

Soll die Anhörung im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden, muss der Betroffene im Regelfall ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass „die erforderliche Anhörung … nachgeholt wird“ (§ 45 I Nr. 3 VwVfG) und er nun Gelegenheit hat, „sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern“ (§ 28 I VwVfG). Dass der Betroffene über die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen, belehrt wurde und mit der Einlegung des Widerspruchs Gelegenheit zur Stellungnahme hat, reicht – anders als viele meinen – nicht aus.

Diese Ansicht begründet Pünder überzeugend wie folgt:

Andernfalls würde das Anhörungsrecht im Ausgangsverfahren ausgehöhlt, da der Widerspruchsführer stets das Recht hat, seine Sicht der Dinge darzulegen.

Danach führt Pünder noch eine Art „argumentum ad absurdum“ an:

Der Behörde würde ein Verzicht auf die Anhörung nicht schaden: Legt der Betroffene Widerspruch ein, träte automatisch eine Heilung ein. Verzichtet er auf den Widerspruch, wird der Verwaltungsakt trotz des Verfahrensmangels nach Ablauf der Widerspruchsfrist bestandskräftig.

Wir sehen: Die These, dass die Nachholung der Anhörung darin gesehen werden kann, dass der Widerspruchsführer „mit seinen Einwendungen im Widerspruchsverfahren Gehör gefunden hat“ wird nicht jeder Korrektor als ausreichend ansehen. Wir sollten an dieser Stelle also nicht nur eine These dieser Art aufstellen, sondern sie zumindest noch begründen.

Ein Kommentar

  1. Elia sagt:

    Sehr interessantes Thema. Ich teile Ihre Auffassung, dass die alleinige Möglichkeit der Hervorbringung von Gründen im WS.Verfahren nicht ausreichen kann. Vielmehr muss sich der Betroffene mit dem Ausgangsbescheid tatsächlich auseinander gesetzt haben und hierzu Stellung genommen haben. Auch die Ws. Behörde muss auf die hervorgebrachten Argumente Stellung nehmen. Erst dann ist der Zweck der Anhörung iSv § 28 I VwvfG gewahrt.

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