Gestern hat die Leipziger Buchmesse ihre Tore geschlossen. Es bleibt aber eine Rechtsfrage, zu der Andreas Platthaus in der FAZ vom 14. März 2018 unter der Überschrift „Verbale Aufrüstung unter Literaten“ auf Seite 11 geschrieben hat:
Nun ist die Buchmesse Teil einer der Stadt Leipzig gehörenden Messegesellschaft, als GmbH privatrechtlich organisiert und dementsprechend nicht verpflichtet, bestimmte Aussteller aufzunehmen oder sie auszuschließen. Allerdings steht es einer Institution, die sich in den letzten Jahren immer wieder vorbildlich für Meinungsfreiheit eingesetzt hat, gut zu Gesicht, die entsprechenden Prinzipien auch in dem unbequemen Fall gelten zu lassen, dass die eigene Meinung nicht mit der von Teilen ihrer Kundschaft übereinstimmt, ansonsten machte man sich wenig glaubwürdig. Der Leipziger Buchmesse-Chef Oliver Zille hat deshalb mehrfach bekräftigt, dass rechte Verlage teilnehmen können. Dass er andererseits gemeinsam Veranstaltungen mit #verlagegegenrechts plant, ist genauso so sein gutes Recht. Seine Pflicht ist aber beides nicht.
Hat das juristisch so seine Ordnung?
Thematisiert wird die Meinungsfreiheit, ein Grundrecht („Beide Seiten, so unversöhnlich sie sich geben, berufen sich auf dasselbe Grundrecht.“) Und dazu meint Platthaus, die Respektierung der Meinungsfreiheit, also die Achtung dieses Grundrechts, sei für die Leipziger Messegesellschaft aus Gründen der Glaubwürdigkeit eine Art „nobile officium“, aber keine Pflicht.
Um diese Frage zu entscheiden, muss man zunächst wissen, wie die Leipziger Messegesellschaft zusammengesetzt ist. Gesellschafter sind der Freistaat Sachsen und die Stadt Leipzig zu je 50 Prozent. Damit steht Messegesellschaft vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand. Für die sich daraus ergebenden grundrechtlichen Verpflichtungen hat das Bundesverfassungsgericht wie folgt judiziert:
Für öffentliche Unternehmen in Privatrechtsform, die vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, ist anerkannt, dass die Grundrechtsbindung nicht nur den oder die Träger des jeweiligen Unternehmens trifft, sondern das Unternehmen selbst (vgl. BVerwGE 113, 208 <211>; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, 2. Aufl. 2000, § 117 Rn. 49; Ehlers, Gutachten E für den 64. DJT <2002>, S. E 39; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 1 Abs. 3 Rn. 69 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, 25. Aufl. 2009, Rn. 187; Höfling, in: Sachs, GG, 5. Aufl. 2009, Art. 1 Rn. 104). Dies entspricht dem Charakter eines solchen Unternehmens als verselbständigter Handlungseinheit und stellt eine effektive Grundrechtsbindung unabhängig davon sicher, ob, wieweit und in welcher Form der oder die Eigentümer gesellschaftsrechtlich auf die Leitung der Geschäfte Einfluss nehmen können und wie – bei Unternehmen mit verschiedenen öffentlichen Anteilseignern – eine Koordination der Einflussrechte verschiedener öffentlicher Eigentümer zu gewährleisten wäre. Aktivitäten öffentlicher Unternehmen bleiben unabhängig von der Ausgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Einflussrechte eine Form staatlicher Aufgabenwahrnehmung, bei der die Unternehmen selbst unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind.
(BVerfG, Urt. v. 22.02.2011, 1 BvR 699/06 – „Fraport“, Rn. 50)
Also: Die Achtung des Grundrechts der Meinungsfreiheit ist für die Leipziger Messegesellschaft kein bloßes „nobile officium“, sondern ein „officium“, eine echte Rechtspflicht.
Seit der Fraport-Entscheidung – das könnte durchaus klausurrelevant sein – wird diese Pflicht zur Beachtung der Grundrechte auch für von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen angenommen:
1. Die Nutzung zivilrechtlicher Formen enthebt die staatliche Gewalt nicht von ihrer Bindung an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG. Dies gilt sowohl für die Verwendung von zivilrechtlichen Handlungsformen als auch für den Einsatz privatrechtlicher Organisations- und Gesellschaftsformen. Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung.
(BVerfG, Urt. v. 22.02.2011, 1 BvR 699/06 – „Fraport“, Rn. 46)
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