§ 713 ZPO und die Möglichkeit der Anschlussberufung

Die Fälle von Jochen Wallisch und Günter Spinner zur Tenorierung zivilgerichtlicher Entscheidungen (JuS 2006, 799 ff.) genießen auch zwölf Jahre nach ihrer Veröffentlichung noch große Beliebtheit in der Referendarausbildung. Heute möchte ich einen dieser Fälle vorstellen, den ich anders lösen würde. Der Fall lautet wie folgt:

Fall 7: K verklagt B auf Zahlung von 9000 Euro. Im Termin am 25. 1. 2006 erscheint K nicht. Antragsgemäß ergeht stattgebendes Versäumnisurteil gegen K, gegen welches dieser Einspruch einlegt. Die Klage erweist sich hierauf als begründet.

(JuS 2006, 799, 802)

In der Lösung heißt es dann:

Endurteil

I. Das Versäumnisurteil vom 25. 1. 2006 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9000 Euro zu zahlen.

III. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen mit Ausnahme der durch die Säumnis im Termin vom 25. 1. 2006 entstandenen Kosten, die der Kläger zu tragen hat.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung i. H . von 120% des zu vollstreckenden Betrages.

(JuS 2006, 799, 802)

Zur Erläuterung führen die Autoren an:

Auf Seiten des B ist zu berücksichtigen, dass ihm an Säumniskosten regelmäßig nur eine halbe zusätzliche Gebühr für seinen Anwalt gem. Nr. 3105 VV RVG entstanden ist, d.h. die dem B entstandenen und vollstreckbaren Säumniskosten mithin i.d.R. eher gering sind (vorliegend 224,50 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer = 260,42 Euro), erfolgt insoweit die Vollstreckbarkeitserklärung regelmäßig ohne Sicherheitsleistung und Schutzanordnung (§§ 708 Nr. 11, 713 ZPO).

(JuS 2006, 799, 802)

Worüber könnte man hier nachdenken?

Ich bin der Meinung, dass §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO auf Seiten des B nicht einschlägig ist. Schauen wir uns § 713 ZPO an:

§ 713 ZPO: Unterbleiben von Schuldnerschutzanordnungen
Die in den §§ 711, 712 zugunsten des Schuldners zugelassenen Anordnungen sollen nicht ergehen, wenn die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen.

Man könnte nun meinen, dass es für B um nur sehr geringe Kosten geht, sodass der Rechtsmittelstreitwert von 600 Euro für eine Berufung nicht erreicht wird (also die Voraussetzung fehlendes Rechtsmittel vorzuliegen scheint):

§ 511 ZPO: Statthaftigkeit der Berufung

[…]

(2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn

1. der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder

[…]

Aber: Es gibt ja die Möglichkeit der Anschlussberufung:

§ 524 I ZPO: Anschlussberufung
Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift bei dem Berufungsgericht.

Steht K die Möglichkeit der Anschlussberufung zur Verfügung?

Dagegen ist eine Anschlussberufung auch zulässig, wenn sie sich nur gegen die Kostenentscheidung (BGHZ 4, 229 = NJW 1952, 384) oder die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit (OLG Frankfurt MDR 1987, 1033) richtet, obwohl darüber vom Berufungsgericht von Amts wegen zu befinden ist.

(BeckOK ZPO/Wulf ZPO § 524 Rn. 8)

Jetzt stellt sich nur noch die Frage, ob die Möglichkeit der Anschlussberufung im Rahmen von § 713 ZPO relevant ist. Und das ist sie:

Rechtsmittel im Sinne der Vorschrift sind nach dem Regelungszweck auch die Anschlussberufung oder Anschlussrevision (§§ 524, 554); denn solange sich eine Partei dem Rechtsmittel der anderen anschließen kann, steht auch dieser Teil des Urteils unter dem Vorbehalt der möglichen Abänderung oder Aufhebung, so dass Schuldnerschutzanordnungen sinnvoll sein können.

(MüKoZPO/Götz ZPO, 5. Aufl. 2016, § 713 Rn. 2)

Deshalb ist § 713 ZPO (unzweifelhaft fehlendes Rechtsmittel) nicht einschlägig. K hat ja die Möglichkeit der Anschlussberufung. Anwendbar sind §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

2 comments

  1. DonJon sagt:

    1.) Da liegt bereits ein schwerwiegender Fehler im zitierten Aufsatz vor: Es kann von dem B keinesfalls die Gebühr nach Nr. 3105 VV RVG „zusätzlich“ zur Kostenfestsetzung angemeldet werden und zwar wegen § 15 Abs. 2 RVG. Insgesamt kann danach höchstens die 1,2 Terminsgebühr entstehen.

    Deshalb meint III. des Tenors auch lediglich Kosten wie insbesondere Fahrtkosten. (Mal unterstellt, dass jeweils auf Seiten von B ein RA aufgetreten ist, wozu der SV nichts sagt).

    2. Weiter ist das Nicht-Erreichen der erforderlichen Beschwer gar nicht das Problem, vielmehr ist dies § 99 ZPO.

    Danach ist offensichtlich, dass K in keinem Fall die Möglichkeit eines selbständigen Rechtsmittels hätte.

    3. Frage ist jetzt nur noch, ob eine unselbständige Anschlussberufung Rechtsmittel im Sinne des § 713 ZPO ist. Und das ist – anders als dargestellt – durchaus umstritten. Dafür MüKoZPO/Götz Rn. 2 mwN; aA Prütting/Gehrlein/Kroppenberg Rn. 3

    4. Die Praxis geht regelmäßig so vor, dass im Zuge der „soll-„Vorschrift des § 713 dann von einem „unzweifelhaft“ nicht vorliegenden Rechtsmittel ausgegangen wird, wenn ein selbstständiges Rechtsmittel unzweifelhaft nicht gegeben ist (was im Sinne eines angemessenen Gläubigerschutzes auch m.E. die einzig vernünftige Lösung ist).

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