Heute soll es um die Frage gehen, ob (und wenn „ja“ inwiefern) ein Streitgenosse als Zeuge in Betracht kommt.
Dazu schreiben Schuschke/Kessen/Höltje in dem Buch „Zivilrechtliche Arbeitstechnik im Assessorexamen“, 35. Aufl. 2013, Rn. 859:
Eine Ausnahme von der Unabhängigkeit der Prozessrechtsverhältnisse besteht insoweit, als bei bestehender Streitgenossenschaft ein Streitgenosse nicht als Zeuge in dem Prozess des anderen Streitgenossen aussagen kann;
In der entsprechenden Fußnote 1003 heißt es dann:
H.M. vgl. Zöller/Vollkommer § 60 Rn. 4 m.w.N.
Vertritt Vollkommer tatsächlich die Auffassung, dass ein Streitgenosse nicht als Zeuge in dem Prozess des anderen Streitgenossen aussagen kann?
Vollkommer schreibt im Zöller bei § 61 ZPO (nicht § 60 wie im Zitat) Rn. 4:
Solange die Streitgenossenschaft besteht, kann keiner der Streitgenossen im Prozess eines anderen Streitgenossen Zeuge sein, außer für den anderen betreffende Beweisthemen […]
Man sollte also unter Berufung auf Vollkommer nicht pauschal sagen, dass ein Streitgenosse nicht als Zeuge in dem Prozess des anderen Streitgenossen aussagen kann. Vielmehr gilt dies nur, wenn es sich um eine sog. gemeinsame Tatsache handelt.
Wenn der Gegenstand der Beweisaufnahme ausschließlich für das Verfahren des anderen Streitgenossen relevant ist, kann dieser Auffassung nach ein Streitgenosse also Zeuge sein.
Zugegebenermaßen: Im Einzelnen ist hier vieles umstritten. Wer sich mit der Thematik näher beschäftigen möchte, dem sei die Kommentierung von Schultes im Münchener Kommentar zur ZPO, § 61 Rn. 8 empfohlen.
Allerdings wird man für die Zwecke des Assessorexamens guten Gewissens der Auffassung des BGH folgen können:
Die Revision rügt vergeblich, § 286 ZPO sei verletzt, weil das Berufungsgericht den Beklagten Alfred M. (= Beklagten zu 2) nicht zur Sachdarstellung der Erstbeklagten vernommen habe.
Alfred M. ist einfacher Streitgenosse der Erstbeklagten. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, daß der einfache Streitgenosse über alle Tatsachen als Zeuge vernommen werden kann, die ausschließlich andere Streitgenossen betreffen (BAG Urteil vom 13. Juli 1972 – 2 AZR 364/71 = JZ 1973, 58). Damit ist die von der Revision für geboten erachtete Abkehr von der strengeren Auffassung des Reichsgerichts (RGZ 29, 370; 91, 37) bereits vollzogen worden.
Die Voraussetzungen, unter denen danach die Vernehmung des Zweitbeklagten zulässig gewesen wäre, sind im vorliegenden Falle indessen nicht gegeben.
(BGH, Urt. v. 27.4.1983, VIII ZR 24/82, BeckRS 1983, 31076819)
Und damit wären wir bei der von Vollkommer im Zöller beschriebenen Auffassung.
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