Aus eigener Prüfungserfahrung weiß ich zu berichten, dass sich Prüfer hinsichtlich ihrer Fragen teilweise an der Bild-Berichterstattung orientieren. Gehen wir heute mal davon aus, dass euch der Prüfer folgendes Zitat vorlegt und um Erklärung bittet:
Ende März 2014 wurde ein 48-Jähriger wegen des Mordes an einem Mädchen († 9) nach dem Jugendstrafrecht zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.
Wie lässt sich erklären, dass ein 48-Jähriger nach Jugendstrafrecht verurteilt wird?
Auch wenn das Jugendstrafrecht im Studium nur am Rande behandelt wird, sollte man das JGG kennen. In § 1 JGG ist sowohl der persönliche als auch der sachliche Anwendungsbereich geregelt:
(1) Dieses Gesetz gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist.
(2) Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.
Und wir sehen schon: Es kommt auf den Zeitpunkt der Tat an, denn in § 1 Abs. 2 JGG ist formuliert „wer zur Zeit der Tat“.
Den Begriff der „Zeit der Tat“ kennen wir aus § 8 StGB:
Eine Tat ist zu der Zeit begangen, zu welcher der Täter oder der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen. Wann der Erfolg eintritt, ist nicht maßgebend.
Bei einem Begehungsdelikt kommt es also darauf an, wann der Täter gehandelt hat. Bei einem Unterlassungsdelikt ist relevant, wann der Täter hätte handeln müssen.
Jetzt muss nur noch geklärt werden, warum auf den Täter Jugendstrafrecht angewendet werden kann, obwohl er zum Zeitpunkt der Tat schon 19 Jahre alt war, also Heranwachsender und nicht Jugendlicher. Das ergibt sich aus § 105 JGG:
Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn
1. die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2. es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.
[…]
(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.
Und so können wir erklären, weswegen ein 48-Jähriger, der zum Zeitpunkt der Tatbegehung 19 Jahre alt war, nach Jugendstrafrecht verurteilt werden kann.
Oh, das kann man noch toppen.
https://www.welt.de/politik/article202074388/Prozess-gegen-frueheren-SS-Wachmann-Jugendstrafrecht-fuer-einen-Greis.html
Vielen Dank für die Ergänzung. Man sieht: Ein Thema, das immer wieder auftaucht und sich deshalb für mündliche Prüfungsgespräche anbietet.