Art. 6 Abs. 5 GG: „Unehelich“ oder „nichtehelich“?

Ist eine Grundgesetzausgabe zur Hand oder in Online-Reichweite? Was steht dort in Art. 6 Abs. 5? Vermutlich Folgendes:

Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Aber ist das, was das Wort „unehelichen“ angeht, eigentlich richtig? Man könnte daran zweifeln, wenn man bei Wolters Kluwer Online Art. 6 GG aufschlägt. Denn dort ist bei „unehelichen“ eine Fußnote 1 als redaktionelle Anmerkung beigefügt, die besagt:

„Müsste lauten: nichtehelichen“

Was bedeutet das?

Die Fußnote ist seltsam mehrdeutig. Soll sie besagen, dass der angegebene Text, der von „unehelichen Kindern“ spricht, falsch ist? Warum hat man ihn dann nicht korrigiert? Oder soll sie (das wäre eine benigna interpretatio) besagen, dass es – gewissermaßen de lege ferenda – besser wäre, von „nichtehelichen Kindern“ zu sprechen?

Tatsächlich gibt es Fundstellen, in denen für Artikel 6 Absatz 5 GG die Lesart „nichtehelichen Kindern“ zu finden ist, so beispielsweise in der handlichen Mini-Ausgabe des Grundgesetzes aus dem Nomos-Verlag (6. Aufl. 1996, S. 9). Und auch beim Staatsministerium Baden-Württemberg ist in der kombinierten Ausgabe der Landesverfassung Baden-Württemberg und des Grundgesetzes die Variante „nichtehelichen Kindern“ anzutreffen.

Woher stammt die Verwirrung?

Die Ursache liegt bei der vom Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18.07.1979 (BGBl. 1979 I 1061, 1070) gewählten Änderungstechnik. Dort heißt es in Art. 9 (Übergangs- und Schlußvorschriften) § 2 Nr.1:

In Bundesgesetzen treten jeweils in derselben sprachlichen Form an die Stelle

1. des Wortes „unehelich“ das Wort „nichtehelich“,

2. des Wortes „Unehelichkeit“ das Wort „Nichtehelichkeit“,

(usw.)

Wie Schwab aber schon 1980 in seiner Glosse „Schönfelder & Sartorius als Gesetzgeber“ (JZ 1980, S. 37f.) dargetan hat, konnte diese Änderungstechnik das GG nicht erfassen. In einem ironischen P.S. bemerkt er:

P. S. Ein gewisses Bundesgesetz, nämlich das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, spricht (noch immer?) von „unehelichen Kindern“ (Art. 6 V GG). Wäre es nicht Förmelei, wollte man – Art. 79 GG hin oder her – die Gesetzestext-Editoren nicht für ermächtigt halten, aufgrund der genannten Übergangs und Schlußbestimmungen auch die Verfassung zu ändern?

(JZ 1980, S. 38)

Trotz des entgegenstehenden Artikels 79 GG, der bei Grundgesetzänderungen eine ausdrückliche Änderung des Wortlauts verlangt, sahen sich einige Gesetzestext-Editoren nicht gehindert, Art. 6 Abs. 5 anzupassen. In der eingangs zitierten Fußnote bei Wolters Kluwer Online klingt das noch nach.

Übrigens weiß man im Bundestag, dass in der geltenden Fassung von Art. 6 Abs. 5 GG immer noch von „unehelichen Kindern“ die Rede ist. Deswegen hat die Fraktion Bündnis90/Die Grünen in ihren Gesetzesentwurf zur Änderung des Grundgesetzes (Ergänzung des Artikels 6 zur Stärkung der Kinderrechte) Folgendes aufgenommen:

Artikel 1

Änderung des Grundgesetzes

4. In Absatz 5 wird das Wort „unehelichen“ durch das Wort „nichtehelichen“ ersetzt.

(Drs. 19/10552, S. 3)

Aber da eine die Kinderrechte betreffende Grundgesetzänderung in dieser Legislaturperiode nicht mehr beschlossen werden wird, bleibt es beim alten Text von Art. 6 Abs. 5 GG.

2 comments

  1. H. Etzmuß sagt:

    46 Jahre habe ich unserem Land als unehelicher Beamter gedient. Versuche über den Bundespräsidenten und dem Petionsausschuß des BT eine Änderung des Art. 6 (5) GG herbeizuführen, sind mir leider verwehrt geblieben.
    Dieses unselige Wort aus den Anfängen unserer Demokratie wird vermutlich noch über mein Lebensende hinaus bleiben. Schade, denn eigentlich bin sehr stolz auf unser Land.

  2. R. Binder sagt:

    in der 2. Hälfte der Siebzigerjahre habe ich Jura studiert und wurde damals auch mit der Umbenennung der „unehelichen“ Kinder in „nichteheliche“ konfrontiert – ein Produkt der „Political Correctness“.
    Als Begründung für die Notwendigkeit dieser Umbenennung wurde damals vorgebracht,dass die Vorsilbe „Un-“ diskriminierend und herabsetzend wäre.
    Das kam mir komisch vor und ich habe mir die Sache etwas genauer angeschaut. Ich habe zu diesem Zweck eine kleine Stoffsammlung von „Un-„Wörtern angelegt: unverschämt, Unglück, Unfall, ungezogen, unbeholfen, unerfahren, unflätig, ungerecht… Das sind tatsächlich alles Wörter, die irgendwie negativ besetzt sind.
    Aber man findet auch: unverletzt, unbescholten, untadelig, unbefangen, unbelastet.. – alles Wörter, die positiv besetzt sind.
    Man kommt dann zu dem Schluss, dass die Vorsilbe „Un-“ lediglich eine Verneinung ausdrückt und keine eigene moralische oder sonstige Wertung enthält.Das „Un-„Wort erhält seine Wertung durch da Ausgangswort. Ist das Ausgangswort positiv besetzt, so wird das „Un-„Wort negativ besetzt. Ist das Ausgangswort negativ besetzt, wird das „Un“-Wort negativ besetzt. Ein „gerechter“ Richter ist gut, ein „ungerechter“ schlecht. Ein „befangener“ Richter ist schlecht, ein „unbefangener“ ist gut.

    Die Begründung für die Umbenennung der „unehelichen“ Kinder, dass die Vorsilbe „Un-“ stets eine negative Wertung bedeute, ist also schlichtweg falsch. Schon damals, Ende der Siebzigerjahre, habe ich mich gefragt, was da wohl für Ignoranten in der Gesetzgebung am Werk sind. Offensichtlich Menschen, die die deutsche Sprache nur oberflächlich beherrschen.

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