BAG locutum – causa finita?

Heute möchte ich die Klausur „(Original-)Referendarexamensklausur – Zivilrecht: Allgemeines Schuldrecht und Arbeitsrecht – Außendienst“ von Stephan Pötters aus dem JuS-Probeexamen 2015 (S. 15ff) betrachten.

Auf Seite 19 beschäftigt sich der Autor mit dem Anschlussverbot, das in § 14 II 2 TzBfG wie folgt geregelt ist:

Eine Befristung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Er untersucht anhand des Wortlauts „bereits zuvor“, wie das Anschlussverbot zu verstehen ist. Dazu schreibt er:

Der Wortlaut der Vorschrift („bereits zuvor“) spricht klar dafür, auch in einem solchen Fall von einer unzulässigen „Zuvor-Beschäftigung“ auszugehen. Das BAG ging daher in seiner früheren Rechtsprechung davon aus, dass jedes irgendwann in der Vergangenheit liegende Arbeitsverhältnis zur Unzulässigkeit der Befristung nach § 14 II 2 TzBfG führt.

Der Autor erklärt also, dass der Wortlaut der Vorschrift klar sei. Er referiert insofern nicht eine fremde Ansicht, sondern formuliert im Indikativ die eigene Ansicht, dass der Wortlaut keinen Raum für eine andere Interpretation lasse.

Im nächsten Absatz lesen wir dann:

Diese Ansicht wurde in der Literatur zu Recht kritisiert und vom BAG mittlerweile aufgegeben. Der Wortlaut ist offen für unterschiedliche Deutungen.

Passt das zusammen?

In gewisser Weise besteht zwischen diesen beiden Aussagen ein Spannungsverhältnis, denn einerseits wird ausgeführt, der Wortlaut spreche klar für eine bestimmte Deutung. Andererseits wird festgehalten, der Wortlaut sei offen für unterschiedliche Deutungen. Das kann man so nebeneinander nicht stehen lassen.

Deshalb empfiehlt es sich, anders zu formulieren. Man hätte zu Beginn der Argumentation darstellen können, dass nach der früheren Ansicht des BAG der Wortlaut eindeutig sei: BAG, Urteil vom 06.11.2003, 2 AZR 690/02:

Der Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung ist eindeutig. Er spricht klar gegen eine einschränkende Regelung des § 14 II TzBfG.

Danach hätte man dann erläutern können, dass die Literatur dies anders sieht. Außerdem hätte man darauf hinweisen können, dass das BAG den Wortlaut mittlerweile auch anders bewertet: BAG, Urteil vom 06.04.2011, 7 AZR 716/09:

Der Wortlaut des § 14 II 2 TzBfG gebietet zwingend kein bestimmtes Auslegungsergebnis. Er ist im Hinblick auf den Bedeutungsgehalt des Tatbestandsmerkmals „bereits zuvor“ nicht eindeutig.

Unser Lernergebnis für heute:

Zur Vermeidung von Widersprüchen kann man den Konjunktiv einsetzen und beispielsweise formulieren: „Man könnte der Ansicht sein, dass der Wortlaut keinen Raum zur Interpretation bietet. Dagegen spricht aber, dass…“.

Zusätzlich verdient ein weiterer Aspekt aus der Fall-Bearbeitung von Pötters eine Erörterung. Es geht dabei um das Erfordernis der Begründung. Auf Seite 19 heißt es in der genannten Lösung:

Das BAG verneint eine „Zuvor-Beschäftigung“ iSv § 14 II 2 TzBfG, wenn das Ende eines früheren Arbeitsverhältnisses zur Zeit der Neubegründung mehr als drei Jahre zurückliegt. […] Dieser Zeitraum ist hier eingehalten, denn A hatte mehr als 25 Jahre nicht mehr bei der B-GmbH gearbeitet.

BAG

(Quelle: www.bundesarbeitsgericht.de)

Nun könnte ein Korrektor  der Ansicht sein, dass zumindest kurz erläutert werden sollte, wie man den Zeitraum von drei Jahren rechtfertigen könnte. Denn allgemein wird angenommen, dass die bloße Wiedergabe einer vom Gericht verfochtenen Ansicht kein vollständiges Argument sei. Das BAG erläutert – übrigens sehr umfangreich -, warum drei Jahre als angemessene Grenze angesehen werden können, BAG, Urteil vom 06.04.2011, 7 AZR 716/09:

Ein Zeitraum von drei Jahren erscheint geeignet, erforderlich und angemessen, der Missbrauchsverhinderung Rechnung zu tragen. Eine schutzzwecküberschießende, die Berufsfreiheit unverhältnismäßig beschränkende Folge wird damit vermieden.

Die Zeitspanne entspricht außerdem der gesetzgeberischen Wertung, die in der Dauer der regelmäßigen zivilrechtlichen Verjährungsfrist nach § 195 BGB zum Ausdruck kommt. Diese dient dem Interesse der Rechtssicherheit und dem Vertrauen eines – etwaigen – Schuldners darauf, aus einem länger zurückliegenden Lebenssachverhalt nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Hierzu weist die erforderliche zeitliche Beschränkung des Verbots der Vorbeschäftigung in § 14 II 2 TzBfG wertungsmäßig Parallelen auf. Auch hier ist es sachgerecht, die Bet. nicht mehr mit Schwierigkeiten zu belasten, die mit der Aufklärung eines lange Zeit zurückliegenden abgeschlossenen Lebenssachverhalts verbunden sind.

Die Grenze von drei Jahren erscheint gleichfalls unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes angemessen. Das Vertrauen der Arbeitsvertragsparteien darauf, dass einem Arbeitsvertrag, dessen Ende mehr als drei Jahre zurückliegt und der demzufolge regelmäßig für den Abschluss des neuen Vertrags keine wesentliche praktische Bedeutung mehr hat, keine Folgen mehr für die Gestaltung des neuen Vertrags zukommen, erscheint jedenfalls bei typisierender Betrachtung schützenswert.

Natürlich ist eine solch umfangreiche Argumentation in einer Zivilrechtsklausur nicht erforderlich. Es muss jedoch immer darauf geachtet werden, dass Thesen zumindest mit einer kurzen Begründung versehen werden. Das gilt umso mehr, wenn die These nicht unumstritten ist. So schreibt Seel, öAT 2011, 206:

Man muss schon einige Phantasie bemühen, um einen Zusammenhang zwischen der Verjährungsregelung des § 195 BGB und der Dauer einer Sperrfrist erkennen zu können. Sperrfristen sind dem Gesetz im Übrigen nicht fremd, zB sieht § 18 I KSchG in Bezug auf Massenentlassungen eine Sperrfrist von einem Monat vor. Es darf daher bezweifelt werden, ob § 14 TzBfG Raum für die nunmehr vom BAG vorgenommene Rechtsfortbildung hat.

Aber wenn man hier tiefer einsteigen würde, dann wäre man wohl auf dem Niveau einer Schwerpunktsbereichsprüfung im Arbeitsrecht angelangt. Pötters setzt hier selbst wie folgt eine Grenze:

Hinweis: Eine Kenntnis dieser Rechtsprechung des BAG kann im Staatsexamen nicht vorausgesetzt werden. Das Auslegungsproblem sollte aber erkannt und mit Hilfe des klassischen Auslegungskanons überzeugend gelöst werden.

„Überzeugend gelöst“ werden kann ein Auslegungsproblem aber nur mit einer Begründung, die über die bloße Feststellung hinausgeht, dass BAG habe in einer bestimmten Weise judiziert.

7 comments

  1. 123 sagt:

    „Der“ BAG? Oder eher „BAG locutum“?

    • klartext-jura sagt:

      Touché! „Das“ Bundesarbeitsgericht, also „BAG locutum“. Habe die Überschrift geändert. Obwohl natürlich über Urteilen „Im Namen des Volkes“ steht, also gewissermaßen „populus locutus“ :-). Trotzdem bleibt das BAG ein Neutrum, und Sie liegen richtig.

      • 123 sagt:

        „Touché“ oder eher „touchée“? 🙂

        • klartext-jura sagt:

          Chapeau!
          Jetzt habe ich nur noch die Literatur auf meiner Seite:

          „Och, wissen Sie“, antwortete er, „seit Sie mir damals dieses Buch über die Templer empfohlen haben, versuche ich, mich über das Thema ein bißchen zu informieren, und Sie wissen ja besser als ich, daß man von den Templern ganz automatisch auf Agarttha kommt.“ Touché, Volltreffer!

          [Hervorhebung nicht im Original]
          (Umberto Eco, Das Foucaultsche Pendel, München, 1989, S. 365)

          „Touché,“ said Charlotte. „Well done. […]“

          (Penelope Lively, How It All Began A Novel, New York, 2012)

          • 123 sagt:

            Respekt. Die Stelle bei Eco akzeptiere ich aber nicht als Gegenbeweis (das sagt doch Casaubon und der ist ein Mann …). 🙂

  2. klartext-jura sagt:

    Danke für den Hinweis. Mittlerweile hat die LTO „nachgelegt“(http://www.lto.de/recht/job-karriere/j/klausur-jura-staatsexamen-in-eigenem-namen/). Damit betrifft die hier geäußerte Kritik die Musterlösung einer Klausur, „die vor rund zwei Jahren in mindestens vier Bundesländern für die Erste Juristische Staatsprüfung gestellt worden war“ (so die LTO). Insofern ist der Adressat meiner Anmerkung nun ein anderer.

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