Eine „Prise“ Europarecht in der BGB-Klausur, oder: Verbrauchsgüterkauf und Fristsetzung

Zwei-SeitenFranz Hofmann behandelt in der JA 2013, 16ff einen Fall, in dem ein Vater für seine beiden Zwillingstöchter je ein Pferd gekauft hat. Da der Käufer aus unterschiedlichen Gründen mit beiden Pferden unzufrieden ist, stellt sich im Fall die Frage, welche Ansprüche bei diesem Verbrauchsgüterkauf bestehen. Geprüft wird u.a. ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises für eines der Pferde aus § 346 I iVm §§ 437 Nr.  2, 323 BGB.

Betrachten wir aus der Fall-Bearbeitung die folgende Passage:

Damit der Käufer vom Kaufvertrag nach § 323 I BGB zurücktreten kann, bedarf es grundsätzlich einer Fristsetzung zur Nacherfüllung. Eine solche hat B nicht gesetzt.

(JA 2013, 16 (18))

Aber bedarf es einer solchen Fristsetzung wirklich?

Bei einem Verbrauchsgüterkauf ist es umstritten, ob vor einem Rücktritt überhaupt eine Fristsetzung erforderlich ist. Hintergrund dieses Streits ist Artikel 3 Absatz 5 der Richtlinie 1999/44/EG vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (kurz: Verbrauchsgüterkaufrichtlinie):

Artikel 3: Rechte des Verbrauchers

(5) Der Verbraucher kann eine angemessene Minderung des
Kaufpreises oder eine Vertragsauflösung verlangen

— wenn der Verbraucher weder Anspruch auf Nachbesserung
noch auf Ersatzlieferung hat oder

— wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen
Frist Abhilfe geschaffen hat oder

— wenn der Verkäufer nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten
für den Verbraucher Abhilfe geschaffen hat.

Aus der Formulierung „nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat“ könnte man den Schluss ziehen, dass es einer Fristsetzung nicht bedarf, da vom Setzen einer Frist nicht die Rede ist.

In der Rechtsprechung wird dieser Gedanke so entwickelt:

Einer Fristsetzung nach § 323 BGB bedurfte es hier aber aus anderen Gründen nicht. Das Setzen einer Frist ist nämlich im Verbrauchsgüterkauf grundsätzlich nicht erforderlich.

§ 323 BGB sieht zwar – abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmefällen – das Erfordernis der Fristsetzung vor.

Die Vorschrift des § 323 BGB ist jedoch im Hinblick auf die Verbrauchsgüterrichtlinie der Europäischen Union (EU RL 1999/44) richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass für den Rücktritt alleine der Ablauf, nicht aber das Setzen einer angemessenen Frist erforderlich ist. Immer dann, wenn ein nationales Gesetz nicht mit einer EU-Richtlinie übereinstimmt, besteht Anlass für die Prüfung einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung (vgl. BGH NJW 2009, 427). Ein Fall der fehlenden Übereinstimmung liegt hier vor. Während das deutsche Gesetz in § 323 Abs. 1 BGB ausdrücklich das Setzen einer Frist verlangt, genügt nach Art. 3 Abs. 5 2. Spiegelstrich EU RL 1999/44 der Ablauf einer Frist, […] Damit hat das deutsche Gesetz die Voraussetzungen des Rücktritts für den Verbraucher in einer Weise erschwert, welche die Richtlinie so nicht vorgesehen hat. § 323 BGB hat einen erheblich weiteren Anwendungsbereich als Art. 3 Abs. 5 2. Spiegelstrich EU RL 1999/44. Die überschießende Umsetzung ist deswegen im Wege der richtlinienkonformen Auslegung einschränkend dahingehend auszulegen, dass es der Fristsetzung nach § 323 BGB bei Verbrauchsgüterkäufen als Voraussetzung für den Rücktritt nicht bedarf. Vielmehr genügt es, wenn eine angemessene Frist für die gegebene Gelegenheit der Nacherfüllung verstrichen ist, ohne dass der Käufer jene gesetzt hatte (ganz h.M. in der Rechtsliteratur, vgl. nur Ernst in Münchener Kommentar, 5. Auflage, § 323 BGB Rn 50a; Grothe in Bamberger/Roth, Edition 21, § 323 BGB Rn 11, jeweils m.w.N.).

(LG Stuttgart, 08.02.2012, 13 S 160/11)

Und in der Literatur so:

Beim Verbrauchsgüterkauf (§§ 474ff.) besteht das Problem, dass Art. 3 V VerbrKaufRL es für den Rücktritt und die Minderung ausreichen lässt, wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat. Eine Fristsetzung ist also nicht erforderlich. Das Problem lässt sich durch richtlinienkonforme Auslegung lösen. Schafft der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe, obwohl der Käufer Nacherfüllung verlangt hat, ist eine Fristsetzung nach § 323 II Nr. 3 beim Verbrauchsgüterkauf entbehrlich.

(Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, 10. Auflage 2015, Rn. 101)

Dass man dies anders sehen kann zeigt die BT-Drs. 14/6040 (S. 222), wo der Gesetzgeber auch bei Verbrauchsgüterkäufen von der Notwendigkeit einer Fristsetzung vor einem Rücktritt ausgeht.

Fragt sich nur noch, ob aus Art. 18 Abs. 2 ein Einwand gegen die Ansicht hergeleitet werden kann, die eine Fristsetzung für entbehrlich hält.

Artikel 18: Lieferung

(2) Ist der Unternehmer seiner Pflicht zur Lieferung der Waren zu dem mit dem Verbraucher vereinbarten Zeitpunkt oder innerhalb der in Absatz 1 genannten Frist nicht nachgekommen, so fordert ihn der Verbraucher auf, die Lieferung innerhalb einer den Umständen angemessenen zusätzlichen Frist vorzunehmen. Liefert der Unternehmer die Waren nicht innerhalb dieser zusätzlichen Frist, so ist der Verbraucher berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten.

(Richtlinie 2011/83/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011)

Hier ist tatsächlich – anders als bei der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie – von einer Fristsetzung die Rede, allerdings nur für den Fall der Nichtlieferung. Deshalb überlagert die Verbraucherrechterichtlinie insoweit die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht.

Wir sehen:

Wenn uns ein Fall vorliegt, in dem bei einem Verbrauchsgüterkauf ein Rücktritt zu prüfen ist, kann man die Frage nicht außer Acht lassen, ob wegen der genannten Richtlinien auf eine Fristsetzung nach § 323 I 1 BGB verzichtet werden kann.

Und wie sieht es nun fristsetzungsmäßig beim Schadensersatzanspruch nach §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB aus? § 281 I 1 BGB spricht (wie § 323 I 1 BGB) von einer Fristsetzung. Kann ein Verweis auf die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie auch hier dazu führen, diese Frist für verzichtbar zu erklären? Dazu Huber/Bach, Examens-Repetitorium Besonderes Schuldrecht 1, Vertragliche Schuldverhältnisse, 4. Auflage 2013, Rn. 156:

Von Seiten der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ist dies [Verzicht auf die im BGB vorgesehene Fristsetzung, M.H.] nicht geboten, weil sie Schadensersatzansprüche nicht erfasst. Für eine Erstreckung könnte die Erwägung sprechen, dass der deutsche Gesetzgeber die Voraussetzung von Schadensersatz statt der Leistung und Rücktritt bewusst (weitgehend) parallel ausgestaltet hat.

Wer diese Aspekte in einer Klausur anspricht, reichert seine Arbeit um die nötige „Prise“ Europarecht an.

6 comments

  1. XYZ sagt:

    Ich finde deine Block super. Ich habe nur eine Frage betreffend des Themas der Verbrauchgüterk-Rücktritt-Fristsetzung nach § 323 I BGB über die du in deinem Artikel schreibst. Und zwar angenommen, man kommt in der Klausur hilfsgutachtlich auf einen Verbrauchsgüterkauf im Rahmen des Widerrufs, den man vor dem Rücktritt zu prüfen hat und dann im Rücktritt im Bereich der Fristsetzungserfordernis des § 323 I BGB kann man dann sagen, dass die Fristsetzung entbehrlich ist, aufgrund der zuvor im Rahmen des Widerrufs angenommenen Vorliegens eines Verbrauchsgüterkaufs?
    Muss man in einer Klausur wenn man einmal vom Gutachten in Hilfsgutachten wechselt, indem man z.b. eine Verbrauchsgüterkauf animmt auch wenn er nicht gegeben ist, aber diesen annehmen muss um weiterprüfen zu können, dann in der restlichen Prüfung konsequent einen Verbrauchsgüterkauf annehmen? Bedeute dies dann bei der Prüfung des Rücktritts, dass ich sage, dass die Fristsetzungserfordernis nach § 323 I BGB entfällt und damit muss ich dann auch nicht § 440 BGB oder Normen prüfen, die von der Entbehrlichkeit der Fristsetzung ausgehen?

    • klartext-jura sagt:

      Wenn ich deine Frage richtig verstanden habe, gehst du davon aus, dass kein Verbrauchsgüterkauf vorliegt und dann prüfst du in einem Hilfsgutachten die Rechtslage für den Fall, dass es sich doch um einen Verbrauchsgüterkauf handeln würde. Also etwa so:

      Problem: Verbrauchsgüterkauf (?)

      Gutachten: Verbrauchsgüterkauf (-)

      Hilfsgutachten: Verbrauchsgüterkauf (+)

      Wenn du dann im Hilfsgutachten eine Prüfung durchführst, musst du konsequenterweise davon ausgehen, dass es sich um einen Verbrauchsgüterkauf handelt. Du musst dann das Problem des Fristsetzungserfordernisses bei einem Verbrauchsgüterkauf diskutieren. Wichtig ist, dass du nicht wie selbstverständlich davon ausgehst, dass man bei einem Verbrauchsgüterkauf vor einem Rücktritt keine Frist setzen muss. Diese Frage ist umstritten und muss daher diskutiert werden. Je nach Ergebnis prüfst du dann wie folgt weiter:

      Fristsetzung erforderlich (+) –> Entbehrlichkeit prüfen

      Fristsetzung erforderlich (-) –> Entbehrlichkeit nicht prüfen

      Taktisch empfehlenswert: Fristsetzungserfordernis nach § 323 I BGB grundsätzlich bejahen, dann kann man danach ohne Probleme die Entbehrlichkeit der Fristsetzung prüfen.

      Wenn du aus dem Hilfsgutachten wieder in dein „normales“ Gutachten wechselst, musst du daran denken, dass du dann wieder von der Konstellation „Kein Verbrauchsgüterkauf“ ausgehen musst.

      Ohne den Fall näher zu kennen, habe ich aber doch das Gefühl, dass hier ein Hilfsgutachten eher nicht erwartet wird.

  2. ABC sagt:

    Toller Blog! Aber wie ist es eigentlich, wenn bei einem Verbrauchsgüterkauf der Käufer konkludent eine Nacherfüllung fordert und der Verkäufer diese ausdrücklich ablehnt? Ist es nicht am besten, im Gutachten die Verbraucherrichtlinie und deren unterschiedliche Ansichten aufzugreifen, dann aber auf § 323 II Nr.1 BGB hinzuweisen, dass eine Fristerfordernis ohnehin entbehrlich ist? Vielen Dank für deine Antwort im Voraus!

    • klartext-jura sagt:

      Danke für den Zuspruch.
      In der Sache schlage ich folgende Vorgehensweise vor:
      – Man beginnt die Prüfung mit § 323 Abs. 1 BGB, der eine Fristsetzung verlangt.
      – Dann diskutiert man die Frage, ob die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie eine Fristsetzung entbehrlich macht.
      – Folgt man der Ansicht, dass auf Grund der Richtlinie eine Fristsetzung entbehrlich ist, endet insoweit die Prüfung. Man kann jedoch im Sinne einer „Überdies“-Prüfung kurz auf § 323 II Nr. 1 BGB eingehen (so spart man sich das Hilfsgutachten).
      – Folgt man der Ansicht, dass trotz der Richtlinie generell doch eine Fristsetzung notwendig ist, geht die Prüfung mit § 323 II Nr. 1 BGB weiter, was in concreto zur Entbehrlichkeit einer Fristsetzung führt.
      Mithin kommen beide Lösungswege zum selben Ergebnis.
      Soweit mein Vorschlag.

  3. Katzenkönig sagt:

    Hi, danke für den informativen Beitrag. Ich hätte da allerdings mal eine Frage. Und zwar wüsste ich gerne, wie man in der Klausur am besten vorgehen sollte, wenn der Käufer nicht bloß Nacherfüllung verlangte, sondern „umgehende Nacherfüllung“. Nach Ansicht des BGH hätte er ja damit eine Frist in Gang gesetzt, so dass man gar nicht auf die Richtlinienkonformität des § 323 I BGB eingehen müsste. Wenn der Käufer nun aber diese Frist nicht abgewartet hat, sondern schon vorher den Rücktritt erklärte, ist das Erfordernis des § 323 I BGB trotzdem nicht erfüllt. Sollte man dann auf den Streit um die Richtlinienkonformität eingehen? Denn nach der Ansicht, die eine einschränkende Auslegung des § 323 I BGB befürwortet, müsste der Käufer dennoch eine angemessene Zeit verstreichen lassen, bevor er zurücktreten kann, so dass man hiermit zum selben Ergebnis kommt. Nun liegt der Fall jedoch auch noch so, dass sich der Verkäufer weigert die Nachbesserung vorzunehmen. Eine Fristsetzung und ihr Verstreichenlassen wäre also ohnehin nach § 323 II Nr. 1 BGB entbehrlich. Wie baut man dieses Problem also in der Lösung am besten auf, um möglichst auf alle Problemfelder eingehen zu können, ohne einfach nur sinnlos Wissen abzuladen?

    • klartext-jura sagt:

      Hi, bei der Frage, wie man klausurtaktisch vorgehen soll, scheiden sich bekanntlich die Geister. In der Tat droht die Gefahr, dass man sinnlos Wissen ablädt. Andererseits heißt es im Bearbeitervermerk gewöhnlich, dass man auf alle im Sachverhalt angelegten Probleme eingehen soll, ggf. sogar in einem Hilfsgutachten. Man schreibt eben ein Gutachten und kein Urteil. Fangen wir mal hinten an: Nur weil die Voraussetzungen von § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorliegen, darf man nicht sofort auf diesen Aspekt (Entbehrlichkeit der Mahnung) „springen“. Zunächst ist § 323 Abs. 1 BGB vollständig zu prüfen. In diesem Zusammenhang stellt sich dann die Frage, ob eine Fristsetzung erforderlich ist. Klausurtaktisch könnte man (nach der Diskussion des Streitstandes) den Standpunkt vertreten, dass diese erforderlich ist. Dann würde sich die Folgefrage anschließen, welche Anforderungen für eine wirksame Fristsetzung gelten. Je nachdem, wie man sich hier entscheidet, kommt man dann zu der Frage, ob die Frist abgelaufen ist. Das wird man verneinen. Anschließend kann man § 323 Abs. 2 BGB prüfen.

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