Legt man Widersprüche wie Heringe ein?

Es gibt terminologische Feinheiten, die bei der Anfertigung eines Gutachtens beachtet werden sollten. Betrachten wir einige Formulierungen:

Nach § 70 I 2 VwGO kann der Widerspruch bei der Widerspruchsbehörde eingelegt werden, gemäß § 70 I 2 VwGO ist dies jedoch auch bei der Ausgangsbehörde möglich.

(Schmidt, Fallrepetitorium Allgemeines Verwaltungsrecht mit VwGO, 2014, S. 63)

– Fristdauer: Nach § 70 Abs. 1 VwGO ist der Widerspruch grundsätzlich innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des VA einzulegen.

(Wittern, Baßlsperger, Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht, 2007, S. 513)

Innerhalb der Widerspruchsfrist kann erneut Widerspruch eingelegt werden.

(Ahrens in Brandt/Sachs, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 2009, Kapitel F, Rn. 128)

Was könnte – worst case – ein Korrektor in einer Klausur hier kritisieren?

In unseren Beispielen ist die Rede davon, dass ein Widerspruch „eingelegt“ wird. Aber ist es terminologisch korrekt, einen Widerspruch einzulegen? Dazu werfen wir am besten einen Blick ins Gesetz, nämlich in § 69 VwGO:

§ 69 [Widerspruch]

Das Vorverfahren beginnt mit der Erhebung des Widerspruchs.

(Hervorhebung nicht im Original)

§ 69 VwGO verwendet also den Begriff „Erhebung“ im Zusammenhang mit dem Widerspruch.

Ebenso ist die Terminologie in § 70 I 1 VwGO:

Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat.

(Hervorhebung nicht im Original)

So lesen wir auch bei Gersdorf, Verwaltungsprozessrecht, 2014, Rn. 219:

Terminologische Hinweise:

* Ein Widerspruch wird – ebenso wie eine Klage – erhoben (vgl. § 69 VwGO) und nicht eingelegt.

Wir sehen also: Die Terminologie orientiert sich am Gesetz.

Was passieren kann, wenn ein Prüfling in der mündlichen Prüfung davon spricht, dass ein Widerspruch eingelegt wird, schildert uns Rechtsanwalt Cetinkaya:

Bei dem sog. Nichtbestehensbescheid handelt es sich um einen Verwaltungsakt, gegen den zunächst gemäß § 22 JAG ein Widerspruch zu erheben ist (und nicht „einzulegen“ , denn, so ein  Prüfer in einer mündlichen Prüfung: „Heringe werden eingelegt!„).

Angeblich soll sogar am Rande einer Examensklausur gestanden haben:

Ein Widerspruch wird erhoben, nicht eingelegt. Einlegen können Sie vielleicht Heringe.

fischWir merken uns also aus Gründen der Klausurensicherheit:

– Ein Widerspruch wird erhoben.

– Eine Klage wird erhoben.

 

Verständnisfrage:

Wie ist die Terminologie im Zusammenhang mit einem Einspruch nach § 410 StPO?

(1) Der Angeklagte kann gegen den Strafbefehl innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung bei dem Gericht, das den Strafbefehl erlassen hat, schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle Einspruch einlegen.

Richtig: Hier hat sich der Gesetzgeber für „Einspruch einlegen“ entschieden.

8 comments

  1. Und was ist nun mit der Terminologie („Einlegung“) in § 70 I 2 VwGO? Zum Einspruch, der „eingelegt“ wird, siehe außerdem auch § 67 I 1 OWiG sowie §§ 350, 352 I AO…

    • klartext-jura sagt:

      Das ist eine naheliegende Frage. Prof. Gersdorf hat mir mit Mail vom 17.11.2015 freundlicherweise den folgenden klausurpraktischen Tipp gegeben:

      Die Terminologie der „Erhebung“ eines Widerspruchs bzw. einer Klage folgt aus §§ 69, 70 I 1, 74 I VwGO, wenngleich § 70 I 2 („durch Einlegung“) und auch § 58 II VwGO in eine andere Richtung deuten. Die Begrifflichkeit ist also nicht ganz eindeutig. Gleichwohl empfiehlt es sich, mit Blick auf §§ 69, 70 I 1, 74 I VwGO von Erhebung eines Widerspruchs (und einer Klage) zu sprechen.

  2. Und zu Rechtsmitteln kann man sich merken, dass diese, zumindest in den folgenden Fällen, eingelegt werden:

    – Berufung, Revision und Beschwerde im Zivil- und Strafprozess, §§ 519 I, 549 I 1, 544 I 2, 569 I 1 ZPO und §§ 314 I, 341 I, 306 I StPO.
    – Rechtsbeschwerde im Bußgeldverfahren, §§ 79 IV, 80 III 1, 2 OWiG.

    In den anderen Verfahrensordnungen habe ich es nicht überall nachgeprüft. Ich vermute aber, dass es dort ähnlich aussieht.

    • klartext-jura sagt:

      Danke für die Unterstützung bei der Aufklärung dieser Angelegenheit. Man kann auch noch aus § 90 I, II BVerfGG Erkenntnisse dazu gewinnen:

      (1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

      (2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhobenwerden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegteVerfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

  3. Ein Prüfer sagt:

    Interessante Diskussion. Für die Kandidaten und Prüfer sollte aber gelten, dass die Verwendung des Begriffs „Einlegen“ vom Prüfer nicht negativ bewertet werden sollte (vielleicht auch nicht negativ bewertet werden darf). Immerhin spricht das Bundesverfassungsgericht selbst auch davon, dass eine Verfassungsbeschwerde nicht fristgemäß „eingelegt“ wurde (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 22.2.2017 – 1 BvR 2875/16 – juris, dort: Rdnr. 5).

    • klartext-jura sagt:

      Danke für den Hinweis. Das ist schon spannend zu sehen, dass das Bundesverfassungsgericht bei der Verfassungsbeschwerde vom Einlegen spricht. In Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG ist allerdings davon die Rede, dass eine Verfassungsbeschwerde „zu erheben“ ist bzw. „erhoben“ wird. Ich meine ja ohnehin, man sollte sich auf solche Dinge nicht kaprizieren. Aber im Prüfungsleben kommt so etwas leider vor. Deswegen hatte ich auch am Ende meines Beitrages auf die Prüferrandbemerkung zum Thema „Heringe einlegen“ verwiesen. Dank deiner Beobachtung sind nun aber auch die Kandidaten auf der sicheren Seite, die in diesem Zusammenhang von „einlegen“ sprechen. Denn die Berufung auf die Terminologie des Bundesverfassungsgerichts müsste eigentlich „prüfungsfest“ sein.

      • 123 sagt:

        Dessen bedarf es nicht – Sie haben doch oben selbst auf § 90 BVerfGG hingewiesen, der zwar dreimal von “erheben”, aber einmal (in Abs. 2 S. 2) eben auch von “einlegen” spricht; auch § 34 Abs. 2 BVerfGG tut dies.

        Was die BVerfG-Hiwis in den Nichtannahmebeschlüssen so fabrizieren, erscheint mir dagegen eher weniger beweiskräftig.

        • klartext-jura sagt:

          Dank und Zustimmung. Damit steht es fußballmäßig betrachtet in § 90 BVerfGG 3:1 für „erheben“ gegen „einlegen“. Das müsste für eine liberale Betrachtung der Terminologie im Prüfungswesen als Begründung ausreichen.

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