Heute startet wie angekündigt die Reihe „Frage und Antwort“ mit einem ersten Beitrag. In regelmäßigen Abständen möchte ich hier kurze, examenstypische Fragen ansprechen. Es soll dabei nicht um Detailwissen gehen, sondern um Grundlagen.
In der mündlichen Prüfung könnte gefragt werden, worin der Unterschied zwischen einem Rechtsbehelf und einem Rechtsmittel zu sehen ist. Dieser terminologische Unterschied ist aber auch ansonsten bei eigenen Formulierungen immer zu berücksichtigen.
Rechtsmittel haben einen Suspensiv- und einen Devolutiveffekt. Insofern unterscheiden sie sich von Rechtsbehelfen.
Nun kann der Prüfer weiter fragen, was unter Suspensiveffekt und was unter Devolutiveffekt zu verstehen ist.
Suspensiveffekt (von lat. suspendere „in einen Schwebezustand versetzen“) meint, dass der Eintritt der formellen Rechtskraft durch die Einlegung des Rechtsmittels gehemmt wird. Formelle Rechtskraft meint Unanfechtbarkeit.
Unter Devolutiveffekt (von lat. devolvere „abwälzen“) wird der Umstand verstanden, dass eine höhere Instanz zur Entscheidung berufen wird.
Wer die beiden Begriffe mit der jeweiligen Definition auswendig lernt, der läuft Gefahr, die beiden Begriffe zu verwechseln. Deshalb empfiehlt sich als Merkhilfe eine Orientierung an den beiden lateinischen Vokabeln. Im Übrigen macht es sich auch gut, wenn die Wortherkunft erklärt werden kann.
Zuletzt könnte der Prüfer noch anhand von konkreten Beispielen prüfen, ob der Unterschied zwischen Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln verstanden wurde. Machen wir die Probe aufs Exempel.
Ist die Anhörungsrüge nach § 321a ZPO ein Rechtsmittel?
Lösung: Ein Rechtsmittel wäre sie nur, wenn sie Devolutiv- und Suspensiveffekt aufweisen würde. Sie hat keinen Devolutiveffekt und keinen Suspensiveffekt, ist also kein Rechtsmittel.
(Und wer das jetzt noch nachlesen möchte:
BGH, Urt. v. 21.05.2014, III ZR 355/13)
Aber Obacht: Die Definition des Rechtsmittels hakt sehr.
Denn die Beschwerde ist auch ein Rechtsmittel und hat im Strafverfahren gar keinen Suspensiveffekt und im Zivil- und Verwaltungsverfahren nur unter bestimmten Voraussetzungen.
Für die Entscheidung, ob ein Behelf ein Rechtsmittel ist oder nicht sollte man also auf die Anfechtbarkeit nur von gerichtlichen Entscheidungen sowie die Erhebung in die nächsthöhere Instanz abstellen.
PS: Habe mir nicht die Mühe gemacht nachzuschauen, ob 2017, als obiger Artikel verfasst wurde, noch andere Gesetzesfassungen galten und damals die Beschwerde immer einen Suspensiveffekt hatte.
Es gibt anscheinend Nuancen der Definition, wie das folgende Zitat zeigt:
„Die Rechtsmittel kennzeichnet, dass ihnen Suspensiveffekt (Hemmung des Eintritts der Rechtskraft, § 705 S. 2) und Devolutiveffekt (Befassung einer höheren Instanz) zukommt.“
(Jacoby, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2022, 16. Kapitel, Rn. 1)