Aktuell wurde dafür plädiert, die deutsche Nationalhymne geschlechtsneutral umzuformulieren. Statt „Vaterland“ sollte es „Heimatland“ heißen und statt „brüderlich“ wurde „couragiert“ vorgeschlagen.
Dieser Vorschlag, den Text der Nationalhymne zu verändern, soll jetzt nicht diskutiert werden. Ein Hinweis auf eine fast mit Sicherheit zu erwartende Nebenwirkung der Debatte kann aber nicht umgangen werden: Hier kündigt sich ein „heißes“ Thema für mündliche Prüfungen an. Entsprechende Fragen könnten etwa lauten:
Auf welcher Rechtsgrundlage beruht die Nationalhymne?
Welches Verfahren ist bei einer Änderung der Nationalhymne anzuwenden?
usw.
Schauen wir zunächst einmal bei der Bundesregierung nach, was dort zum Thema gesagt wird:
Die deutsche Nationalhymne in der aktuellen Fassung ist die dritte Strophe des Deutschlandliedes (festgelegt durch den Schriftwechsel vom 19. beziehungsweise 23. August 1991 zwischen Bundeskanzler Kohl und Bundespräsident von Weizsäcker, veröffentlicht im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 89/1991 vom 27. August 1991).
Mit einer darauf bezogenen Antwort könnte man sicherlich schon Punkte sammeln. Wahrscheinlich würde das aber Nachfragen des Prüfers nicht verhindern, etwa so:
Genügt rechtlich ein Briefwechsel zwischen dem Bundespräsidenten und dem Bundeskanzler, um eine Nationalhymne zu bestimmen?
In einer Antwort auf diese Frage könnte man darauf verweisen, dass es dafür einen Präzedenzfall gibt, nämlich den Briefwechsel zwischen dem Bundespräsidenten Theodor Heuss und dem Bundeskanzler Konrad Adenauer. Dieser Briefwechsel war am 6. Mai 1952 im Bulletin der Bundesregierung veröffentlicht worden. Der Hinweis auf diesen Präzedenzfall und die Wiederholung der Prozedur 1991 im Zuge der Herstellung der deutschen Einheit, sowie auf die langjährige Praxis der Verwendung dieser Hymne könnte den Weg zu einer gewohnheitsrechtlichen Argumentation öffnen. Damit riskiert man aber die Folgefrage, ob – und gegebenenfalls wie – Gewohnheitsrecht verändert werden kann.
Wer den „alten“ Heuss-Adenauer-Briefwechsel erwähnt (ohne gewohnheitsrechtlich zu argumentieren), sammelt bestimmt zusätzliche Pluspunkte, wird sich aber wiederum mit der bohrenden Frage konfrontiert sehen, welche Art von Rechtsgrund für staatliches Handeln ein solcher Briefwechsel darstellen kann.
In diesem Kontext könnte man dann sagen, dass das Bundesverfassungsgericht sich 1990 ausdrücklich auf diesen Briefwechsel bezogen hat:
Der Briefwechsel zwischen dem Bundeskanzler Adenauer und dem Bundespräsidenten Heuss aus dem Jahre 1952 (Bulletin der Bundesregierung Nr. 51 vom 6. 5. 1952, S. 537; abgedr. auch bei Hellenthal, NJW 1988, 1294 (1297) ist nicht eindeutig. Ihm ist nicht ausdrücklich zu entnehmen, daß dieses Lied nur mit seiner dritten Strophe zur Hymne erklärt werden sollte. Eindeutig ist jedoch darin festgelegt worden, daß bei staatlichen Veranstaltungen die dritte Strophe gesungen werden solle. Dem entspricht mittlerweile eine jahrzehntelange allgemeine Übung.
(BVerfG, Beschl. v. 07.03.1990, 1 BvR 1215/87)
„Jahrzehntelange allgemeine Übung“ klingt ein wenig nach Gewohnheitsrecht. Es unterbleibt aber eine Aussage zur genauen Rechtsqualität des Briefwechsels.
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts betraf übrigens die Frage, ob in einem konkreten Fall die Hymne der Bundesrepublik Deutschland verunglimpft worden war, was nach § 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar ist.
Wegen dieser Anknüpfung erkennt man, dass man aus dem eingangs erwähnten aktuellen Anlass auch in einer Strafrechtsprüfung mit Fragen nach der Nationalhymne konfrontiert werden kann. Denn Strafbarkeit nach § 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB setzt natürlich voraus, dass wir eine verbindlich festgelegte Nationalhymne haben. Es ist von daher nur konsequent, dass sich die Kommentierungen zu § 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB mit dieser Frage befassen.
Erwähnen sollte man zusätzlich noch die Auffassung, die postuliert, die Nationalhymne müsse durch Gesetz bestimmt werden:
Es bedarf somit für die Festsetzung der Nationalhymne eines förmlichen Gesetzes. Der Gesetzgeber ist gefordert, Text und Melodie der Nationalhymne festzulegen. Sein Spielraum beschränkt sich vermutlich faktisch auf die Frage, ob der Text der Nationalhymne aus allen drei Strophen oder nur aus der dritten Strophe bestehen soll. Die Melodie von Joseph Haydn dürfte keine Streitgespräche auslösen. Eine erste Möglichkeit, zu einer verfassungskonformen Hymnenbestimmung zu gelangen, wäre ein Gesetz über die Hymne der Bundesrepublik Deutschland.
(Hümmerich/Beucher, Keine Hymne ohne Gesetz – Zu den staatsrechtlichen Anforderungen an die Setzung des Symbols Nationalhymne, NJW 1987, 3227 ff.)
So haben es dann auch die Österreicher gehalten, als sie mit Wirkung vom 1. Jänner 2012 in ihrer Hymne „Heimat bist du großer Söhne“ in „Heimat großer Töchter, Söhne“ änderten:
Und wenn man alles hier Skizzierte in einer mündlichen Prüfung angesprochen hat, müsste selbst ein sehr strenger Prüfer freundlich gestimmt sein.