Heute einmal ein Bericht aus der Korrekturpraxis. Eine Klausur widmete sich der Frage einer Strafbarkeit durch Verabreichen von Alkohol. Der Fall war inspiriert durch die BGH-Entscheidung vom 18. Februar 2021 (Aktenzeichen: 4 StR 473/20). Die wesentlichen Umstände des Sachverhalts stellten sich wie folgt dar:
Die Zeugin trank zunächst ein Glas oder eine Flasche Bier. Anschließend trank sie ein Glas Wein. Der Angekl. schenkte ihr immer wieder nach, wobei er ausnutzte, dass sie aufgrund des Spiels abgelenkt war oder zur Toilette gegangen war. Sie bekam aber auch mit, dass der Angekl. ihr nachschenkte. Schließlich entschied sich die Zeugin, auf weiteren Alkoholkonsum zu verzichten, und trank fortan nichtalkoholische Getränke, weil sie bemerkt hatte, dass sie durch den genossenen Alkohol angetrunken war. Der Angekl. erkannte, dass die Zeugin nunmehr nur noch nichtalkoholische Getränke zu sich nahm. In der Hoffnung, alsbald mit ihr allein sein zu können, schenkte er ihr – von ihr unbemerkt – mindestens einmal Wodka in ihr nichtalkoholisches Getränk, worauf sie dieses Mischgetränk zu sich nahm.
Die Zeugin musste sich am Ende zu Hause übergeben. Im Raum stand die Frage nach einer gefährlichen Körperverletzung.
In der Klausur ging es im Kern um folgende Fragestellung: Da unklar war, ob die gesundheitlichen Folgen durch den Weinkonsum oder den Wodkakonsum verursacht waren, stellte sich die Frage, wie mit dieser Sachverhaltsungewissheit umzugehen ist. Die Klausur zielte allem Anschein nach darauf ab, sich mit der Problematik der Wahlfeststellung zu befassen. Das soll aber hier nicht das Thema sein, sondern ein Hinweis darauf, was man bei einer solchen Sachlage auf keinen Fall tun sollte. In vielen Klausuren wurde nämlich mit eigenem Alkoholwissen argumentiert und darauf hingewiesen, dass Wein verträglicher als Wodka sei und dass man deswegen daraus schließen könne, dass der Wodka für die Übelkeit ursächlich gewesen sein müsste. Auf diese Art und Weise wurde ein Wissen zugrunde gelegt, von dem in der Aufgabenstellung nicht die Rede war. Solche Sachverhaltsergänzungen werden überwiegend in der Korrekturpraxis als schwerwiegender Fehler eingestuft. Deswegen gilt die Regel, dass der Sachverhalt als wahr zu unterstellen ist und nicht ergänzt werden darf. Anders ausgedrückt: Nur die im Sachverhalt genannten Fakten zählen.
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