Diesmal kann einem bei der Lektüre von JA 2014, S. 655ff an einer Stelle richtig der Kopf qualmen. Insofern sei vor Risiken und Nebenwirkungen bei der Befassung mit dem folgenden gewarnt … 🙂
Tobias Wagner schreibt zur Widerklage. Auf Seite 658 erläutert er die Zedentenwiderklage und deren prozesstaktischen Hintergrund:
Bei den genannten Fallgestaltungen handelt es sich um Fälle der Widerklage gegen den Zedenten einer Forderung (Zedentenwiderklage). Die Besonderheit dabei liegt in der Tatsache, dass die – zumeist aus der prozesstaktischen Erwägung des Zessionars, als Zeuge zur Verfügung zu stehen – erfolgte Abtretung nichts an einem etwaig bestehenden Rechtsverhältnis zwischen Zedent und <durch den Zessionar, M.H.> Beklagtem ändert. Erhebt der Beklagte damit Widerklage gegen den Zedenten, so stellt er damit letztlich nur die eigentliche Ausgangslage wieder her, welche im Fall eines Prozesses ohne Abtretung bestanden hätte.
In Satz 2 (oben hervorgehoben) behauptet Wagner, dass es bei der Zedentenwiderklage meistens die prozesstaktische Erwägung des Zessionars sei, als Zeuge zur Verfügung stehen zu wollen.
Alles klar?
Klären wir erst einmal die Begrifflichkeiten:
– Zedent: Derjenige, der eine Forderung abtritt.
– Zessionar: Derjenige, an den eine Forderung abgetreten wird.
Bei der Zedentenwiderklage haben wir folgende Situation:
Der Zedent tritt eine Forderung, die er gegen einen Dritten hat, an den Zessionar ab. Nun klagt der Zessionar die Forderung gegen den Dritten ein. Die prozesstaktische Erwägung ist also darin zu sehen, dass jetzt der Zedent als Zeuge zur Verfügung stehen kann, weil er nicht Kläger ist. Der Zessionar ist aber Kläger und scheidet damit als Zeuge aus.
Wagner fährt dann im Kontext „Zedentenwiderklage“ wie folgt fort:
Die Tatsache, dass er <sc. der Widerkläger, M.H.> den Zedenten damit <sc. durch die Zedentenwiderklage, M.H.> als Zeugen „ausschaltet“ ist im Hinblick auf die Waffengleichheit ebenso zulässig wie die Abtretung, um einen Zeugen zu generieren.
Hier ist Wagner also der Ansicht, dass der Zedent Zeuge sein kann, bis er durch eine Drittwiderklage „ausgeschaltet“ wird. In dem vorangegangenen Satz sind aber wohl die Begriffe „Zedent“ und „Zessionar“ vertauscht:
Die Besonderheit dabei liegt in der Tatsache, dass die – zumeist aus der prozesstaktischen Erwägung des Zessionars (richtig meines Erachtens: Zedenten, M.H.), als Zeuge zur Verfügung zu stehen – erfolgte Abtretung …
Denn abgetreten hat die Forderung ja der Zedent, und nicht der Zessionar.
Nachdem man sich so durch den Text gewühlt hat, fragt man sich, ob man das nicht auch hätte klarer und verständlicher darstellen können. Hier ein Versuch dazu:
Falls die JA übrigens das obige Interpretationsergebnis teilt und den Aufsatz in der Online-Ausgabe korrigiert, könnte bei der Gelegenheit auch das Normzitat § 12 Nr. 1 GKG (S. 655, 658) angepasst werden, denn es müsste § 12 Abs. 2 Nr. 1 GKG heißen.
Ich habe über Ihre Lesart nachgedacht. Wagner hat Recht.
Der Zedent ist ja derjenige, der die Knete vom Dritten haben will. Wenn er aber selber Klage gegen den Dritten erhebt, kann er kein Zeuge in seinem eigenen Prozess sein.
Deshalb bedient er sich eines „Strohmannes“. Er tritt als Zedent seine Forderung an den Zessionar ab. Dieser (Strohmann) erhebt als Zessionar dann Klage gegen den Dritten und der Zedent kann er selber „in seinem eigenen Fall“ als Zeuge gegenüber dem Dritten auftreten.
Der Dritte (Beklagter) ist aber auch anwaltlich gut beraten und erhebt eine Drittwiderklage gegen den Zedenten. Und schwups kann der Zedent doch wieder kein Zeuge mehr sein; er ist also vom Dritten „als Zeuge ausgeschaltet“ worden.
Verwirrung kann noch der Begriff des „Dritten“ stiften. Im Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar war der Dritte der Klagegegner (Beklagter). Erhebt der Beklagte aber eine „Drittwiderklage“ gegen den Zessionar, ist der Zessionar in diesem Klageverhältnis der „Dritte“.
Vielen Dank für Ihre Anmerkung. Ich teile alle ihre Ausführungen, die sich v.a. auf die These Wagners beziehen, dass der Widerkläger den Zedenten durch die Zedentenwiderklage als Zeuge ausschalten kann.
Probleme hatte ich bei Wagner nur mit folgendem Satz:
„Die Besonderheit dabei liegt in der Tatsache, dass die – zumeist aus der prozesstaktischen Erwägung des Zessionar, als Zeuge zur Verfügung zu stehen – erfolgte Abtretung nichts an einem etwaig bestehenden Rechtsverhältnis zwischen Zedent und Beklagtem ändert.“
Die Frage ist also, warum überhaupt eine Abtretung vorgenommen wird.
Die Antwort Wagners: Es sei die prozesstaktische Erwägung des Zessionars (!), als Zeuge zur Verfügung zu stehen.
Meine Antwort: Es ist die prozesstaktische Erwägung des Zedenten (!), als Zeuge zur Verfügung zu stehen.
Ich halte also alle Ausführungen von Wagner für richtig (wenn auch für kompliziert ausgedrückt), bis auf das eine Wort in dem von mir beschriebenen Satz. Und genau das eine Wort kann dann zum Chaos im Kopf führen …
Zum Verständnis hilfreich kann vielleicht ein Beispiel aus dem Versicherungsrecht sein, wo derartige Konstellationen häufig vorkommen: Otting schreibt in der SVR 2011, 249 (250):
„Mit dieser Klausel will der Versicherer verhindern, dass sich der Versicherungsnehmer in Streitfällen die Zeugenposition ermogelt, indem er den Anspruch abtritt und damit nicht mehr selbst der Anspruchsteller ist.“
Das lässt sich gut auf unseren Fall übertragen: Es geht darum, dass der Zedent (Versicherungsnehmer) sich die Zeugenposition ermogelt. Also ist es auch die prozesstaktische Erwägung des Zedenten als Zeuge zur Verfügung zu stehen und nicht die des Zessionars, als Zeuge zur Verfügung zu stehen (der ja nach Abtretung den Prozess führt und eben nicht als Zeuge zur Verfügung steht)