In der Klausur C 499 des Klausurenkurses von Alpmann Schmidt heißt es:
Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Verwaltungsgericht gemäß § 88 Hs. 2 VwGO in Bezug auf die Ermittlung der statthaften Klageart nicht an die Fassung der Anträge gebunden ist. Sofern der Klageantrag im Hinblick auf das Begehren des Klägers nicht eindeutig ist, kann das Verwaltungsgericht diesen vielmehr gemäß § 130 BGB analog auslegen und ggf. sogar gemäß § 140 BGB analog umdeuten.
Für Klausuren sollte man diesen Gedankengang noch etwas verfeinern.
Der zitierte Paragraph § 130 BGB hat die amtliche Überschrift:
Wirksamwerden der Willenserklärung gegenüber Abwesenden
Das kann nicht gemeint sein.
Es geht um Auslegung. Also handelt es sich wohl um einen Tippfehler und es sollte § 133 BGB heißen:
Auslegung einer Willenserklärung
Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
So weit so gut. Aus dem Zivilrecht ist es uns aber bekannt, dass eigentlich § 133 BGB und § 157 BGB immer zusammen zitiert werden. Zwar bezieht sich § 133 BGB dem Wortlaut nach auf Willenserklärungen und § 157 BGB auf Verträge, aber dennoch hat sich die gemeinsame Zitierung beider Normen eingebürgert. Warum? Dazu schreiben Boemke und Ulrici in BGB Allgemeiner Teil, 2. Auflage 2014, § 8 Rn. 8:
Eine solche Exklusivität der beiden Vorschriften besteht jedoch entgegen ihrem Wortlaut bereits deshalb nicht, weil Verträge durch Willenserklärungen geschlossen werden. Eine unterschiedliche Behandlung der den Vertrag begründenden Willenserklärungen und des Vertrags selbst ist deshalb nicht denkbar.
Die Begründung sollte man sich für das Zivilrecht merken, denn häufig zitiert man die beiden Normen intuitiv zusammen, könnte aber nicht erläutern warum.
Aber ist es nun tatsächlich so, dass im Verwaltungsrecht bei § 88 Hs. 2 VwGO nur auf § 133 BGB analog abgestellt wird?
Dazu Erichsen in Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Auflage, 2010, § 28 III Rn. 8:
Es ist unstreitig, dass § 133, 157 BGB auf verwaltungsrechtliche Willenserklärungen entsprechend oder als allgemeiner Rechtsgrundsatz Anwendung finden.
Und genau im Kontext von § 88 VwGO schreibt das BVerwG, Beschluss vom 13.01.2012, 9 B 56.11:
Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden; es hat vielmehr das tatsächliche Rechtschutzbegehren zu ermitteln […]. Maßgebend für den Umfang des Klagebegehrens ist das aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klagebegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel […].
Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden.
Wesentlich ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück […]. Neben dem Klageantrag und der Klagebegründung ist auch die Interessenlage des Klägers zu berücksichtigen, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen für das Gericht und den Beklagten als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt […].
Wir können also festhalten: Bei der Auslegung des Klagebegehrens im Verwaltungsrecht können wir auf §§ 133, 157 BGB zurückgreifen, sei es analog, sei es als allgemeiner Rechtsgrundsatz.
Schreibe einen Kommentar