Über die Reihenfolge einzelner Prüfungsschritte im Gutachten kann man häufig streiten. Es gibt aber auch Konstellationen, in denen die Einhaltung einer bestimmten Prüfungsreihenfolge nahezu zwingend ist. Manchmal bietet sich eine bestimmte Prüfungsreihenfolge aber auch an, um Inzidentprüfungen zu vermeiden. Obwohl Inzidentprüfungen logisch korrekt sein können, führen sie wegen der Verschachtelung doch zu Unübersichtlichkeit und sind nicht leserfreundlich. Ein Beispiel aus der Prüfung einer Anfechtung soll die Konstellation verdeutlichen. Gibt es hier einen Prüfungspunkt, den man sinnvollerweise vor einem anderen Prüfungspunkt klären sollte?
Genau, man sollte sich zunächst Gedanken zum Anfechtungsgrund machen, bevor man anschließend die Anfechtungsfrist untersucht. Warum? Die Anfechtungsfrist hängt davon ab, welchen Anfechtungsgrund man bejaht hat. Sollte man einen Anfechtungsgrund nach §§ 119, 120 BGB angenommen haben, so ist in Bezug auf die Anfechtungsfrist § 121 BGB einschlägig:
(1) Die Anfechtung muss in den Fällen der §§ 119, 120 ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die einem Abwesenden gegenüber erfolgte Anfechtung gilt als rechtzeitig erfolgt, wenn die Anfechtungserklärung unverzüglich abgesendet worden ist.
(2) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind.
Sollte man hingegen einen Anfechtungsgrund nach § 123 BGB angenommen haben, so ist in Bezug auf die Anfechtungsfrist § 124 BGB einschlägig:
(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.
(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.
Wenn man demnach in einer Klausur versucht, die Anfechtungsfrist zu prüfen, bevor man sich Klarheit über den Anfechtungsgrund verschafft hat, läuft das zumindest auf eine unschöne Inzidentprüfung hinaus. Denn dann müsste man im Rahmen der Prüfung der Anfechtungsfrist die – häufig einen Schwerpunkt der Klausur ausmachende – Frage analysieren, welcher Anfechtungsgrund überhaupt realisiert wurde. Man sollte also erst nach der Prüfung eines Anfechtungsgrundes auf die Anfechtungsfrist zu sprechen kommen.
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