Man lernt so viel zum Stellvertretungsrecht in den Vorlesungen, dass man sich in Klausursituationen schon fragen kann, was von dem gelerntes Wissen nun für die konkrete Fallbearbeitung relevant ist. Wichtig ist jedenfalls, dass man in Klausursituationen sein Wissen nicht vollständig „ablädt“, sondern analysiert, welches Wissen zur Lösung des konkreten (!) Falles relevant ist. Auf der Basis der Hypothese, dass man versuchen möchte, so viel erlerntes Wissen wie möglich in der Klausurbearbeitung unterzubringen, kann sich beispielsweise die Frage stellen, ob man – nachdem Vertretungsmacht aufgrund einer Vollmacht bejaht wurde – noch auf Duldungs- bzw. Anscheinsvollmacht zu sprechen kommen sollte.
Das ist keine gute Idee. Denn Duldungs- und Anscheinsvollmacht beruhen auf dem Gedanken, dass derjenige, der Dritten gegenüber für den Rechtsschein verantwortlich ist, es bestehe eine Vollmacht. Daran ist er dann auch gebunden. Dieser Grundgedanke passt aber nicht, wenn in einem früheren Prüfungsschritt bereits festgestellt wurde, dass sich die Vertretungsmacht aus einer Vollmacht ergibt. Wenn man nun aber das Gefühl hat, dass man doch etwas zu den Themen Duldungs- bzw. Anscheinsvollmacht sagen sollte, bietet sich möglicherweise ein Hilfsgutachten an. In dieser Konstellation würde man dann prüfen, ob – unterstellt, dass die Vertretungsmacht sich nicht aus einer Vollmacht ergibt – die Vertretungsmacht sich aus einer Duldungs- bzw. Anscheinsvollmacht ergeben könnte. Freilich: Das wird eine eher unwahrscheinliche Konstellation sein. In den meisten Fällen wird man sich schon dahingehend festlegen müssen, ob sich die Vertretungsmacht aus einer Vollmacht ergibt oder nicht, dies allerdings verbunden mit der Konsequenz, dass es geboten sein kann, zu Duldungs- bzw. Anscheinsvollmacht Stellung zu beziehen.
Denkbar ist jedoch eine Kumulation von rechtsgeschäftlicher Vollmacht und Vollmacht durch Rechtsschein, wenn die Vollmacht zwar mit einem bestimmten Umfang erteilt wurde, dieser jedoch vom Vertreter überschritten wurde. Die fehlende Vertretungsmacht könnte dann durch eine Anscheinsvollmacht aufgefangen werden, wenn dem Geschäftsherrn vorwerfbar ist, den Rechtsschein einer entsprechenden Vollmacht herbeigeführt zu haben.