Kein Aprilscherz! Die schönsten Geschichten schreibt das Leben selbst. Hier ist ganz aktuell eine solche.
Gestern bin ich im Internet über eine Information zur ungleichartigen Wahlfeststellung für Jura-Studierende gestolpert. Da stand, der 2. Senat habe Anfang 2014 dem Großen Senat zur Entscheidung vorgelegt, ob die ungleichartige Wahlfeststellung verfassungswidrig sei. Und ein ansprechendes Video zum gleichen Thema war auch mit dabei. Hallo, dachte ich, habe ich da etwas verpasst?
Antwort: Nein. Anfang 2014 hat der 2. Senat bei den anderen Strafsenaten des BGH angefragt (vergleiche dazu hier), ob sie an ihrer Rechtsauffassung festhalten. Der Große Senat ist noch nicht involviert. Es ist übrigens gar nicht einmal sicher, ob es dazu kommen wird. Welche Varianten denkbar sind, erklärt Mosbacher sehr anschaulich in der JuS 2015, 129 (134). Er erläutert zunächst, dass ein Strafsenat ein Verfahren vor dem Großen Senat selbst bei streitigen Anfrageverfahren nicht durchführen muss und fährt fort:
Manchmal macht der anfragende Senat auch einen „Rückzieher“, etwa weil er sich im Großen Senat für Strafsachen keine Mehrheit für seine Auffassung ausrechnet. Hiervon ist vorliegend aber kaum auszugehen, denn der 2. Strafsenat hält die Regeln über die ungleichartige Wahlfeststellung für verfassungswidrig. Dass ein Strafsenat für verfassungswidrig erachtete Regeln weiter anwendet, ohne gesetzlich vorgesehene Abhilfemöglichkeiten zu ergreifen, wäre doch eher ungewöhnlich.
Wir sehen also, es ist noch alles offen. Um gleich an der Quelle den Irrtum aufzuklären, habe ich unter anderem folgendes gepostet.
Jetzt ist das alles gelöscht. Kleiner Tipp am Rande: Es gibt bei Facebook ein Aktivitätenprotokoll, mit dem man kurz nach der Löschung seine Einträge noch speichern kann.
Neugierig geworden habe ich mir die Sache dann genauer angeschaut, denn es folgt an der fraglichen Stelle auch noch ein Prüfungsschema zur ungleichartigen Wahlfeststellung. Dort wird erst am Ende der Prüfung die Verfassungsmäßigkeit der ungleichartigen Wahlfeststellung diskutiert (genau so übrigens Schneider, RÜ 2014, 507ff). Über Aufbaufragen lässt sich bekanntlich immer trefflich streiten. Dieser Aufbau führt aber dazu, dass man möglicherweise erst am Ende einer umfangreichen Prüfung feststellt, eine verfassungswidrige Rechtsfigur angewendet zu haben. Das ist für den Leser ein ziemlicher „Ätsch“-Effekt. Deshalb baut Sebastian Wachsmann von der Universität München das Ganze umgekehrt auf (hier zur Lösung) und prüft zuerst die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsfigur „ungleichartige Wahlfeststellung“, dies verbunden mit dem klausurentaktischen Vorschlag, die Verfassungsmäßigkeit mit dem 5. Senat zu bejahen.
(Ich danke Sebastian Wachsmann dafür, dass ich seine nicht mehr im Internet verfügbare Lösung hier einstellen darf. Die Lösung befindet sich auf dem Stand WS 2014/2015.)
Mittlerweile haben sich alle Senate zu der vom 2. Senat aufgeworfenen Frage ablehnend geäußert. Vergleiche zu den Fundstellen für die Antwortbeschlüsse der BGH-Strafsenate auf die Anfrage des 2. Senats hier.
Zwischendurch gab’s dann in der Lektion, über die ich schreibe, noch ein zeitraubendes „Schmankerl“. Für die Annahme, die ungleichartige Wahlfeststellung sei verfassungsgemäß, wurde verwiesen auf „Ceffinato, JA 2014, 655“. Also ein Blick in die JA an der angegebenen Stelle. Dort stand:
„Die Widerklage, Richter Tobias Wagner, Erlangen“ (ein vertrauter alter Bekannter). Erst habe ich mir die Arbeit einfach machen wollen und bei der Autorin angefragt:
Sie konnte mir leider nicht weiterhelfen. Also war detektivischer Scharfsinn gefragt: Welche Fundstelle könnte gemeint sein? Glücklicherweise ist der Autorenname ziemlich charakteristisch, weswegen eine Internet-Recherche hilft. Die Spur führt uns direkt zu Dr. Tobias Ceffinato in Bayreuth (hat ziemlich gute Evaluationen, u.a. „cooler Typ„) und dort im Schriftenverzeichnis zu „Das Institut der Wahlfeststellung und seine verfassungsmäßige Zulässigkeit, JURA 7/2014, S. 655-665“.
Aber wie kam es nun zu „Ceffinato, JA 2014, 655“ in unserem Kurs? Die Erklärung ist einfach: So steht es (auch falsch) in der RÜ 2014, 518. Mittlerweile steht diese RÜ-Fundstelle statt der ursprünglichen (falschen) JA-Fundstelle auch in der Übersicht auf der Seite, sodass das Rätsel „Ceffinato, JA 2014, 655“ von allen, die dort mitlesen, gelöst werden muss. Da man ja hilfreich sein will, hatte ich die Auflösung des Rätsels gepostet. Auch dieser Post wurde aber gleich gelöscht:
Zum Schluss soll noch erklärt werden, warum die Geschichte hier anonym erzählt wird. Erstens wegens des Osterfriedens und zweitens, weil die Anbieterin mir geschrieben hat, ich solle sie nicht nennen. Das Persönlichkeitsrecht gehe leider der Meinungsfreiheit vor. Mit einem solchen Satz würde ich lieber nicht ins Examen gehen… Und damit frohe Ostern für alle und „Friede, Freude, Eierkuchen“.
P.S. Man sollte den Aufsatz von Ceffinato lesen, denn die Zusammenfassungen in der RÜ und bei N.N. beziehen sich nur auf auswählte Auszüge. Aus vielen Uni-Netzen ist der Aufsatz direkt über diesen Link erreichbar.
Anschaulich zu lesen. Endlich mal!
Zum Prüfungsaufbau:
Verfassungsmäßigkeit vorne, Verfassungsmäßigkeit hinten; was hälst du denn davon, den Streit vorzuziehen und innerhalb der Nicht-Fischer-Ansicht inzident die echte Wahlfeststellung zu prüfen. Erst wenn die durchgeht, kommt man zum Streitentscheid über die Verfassungsmäßigkeit.
Wenn man den Querulanten-Senat mag, kann man dann nämlich auch die Wahlfeststellung verneinen, ohne
A) eine Ballonprüfung hinten aufstechen zu müssen, oder sich
B) ein Schwerpunktproblem abgeschnitten zu haben.
Antworte, wenn du magst. Würde gerne mal deine Meinung lesen.
lG. David
Danke für’s Mitgrübeln! Dein Lösungsvorschlag hat auch was für sich. Er ist jedenfalls komplett konsequent und vermeidet in der Variante, dass nach der „Nicht-Fischer-Ansicht“ die Wahlfeststellung zu bejahen ist, in der Tat die negativen Effekte, die du beschreibst. Ich sehe aber ein Risiko für den Fall, dass im Rahmen der „Nicht-Fischer-Ansicht“ die Wahlfeststellung nicht durchgeht (sie hat ja ihre eigenen Voraussetzungen, die fehlen können). Dann hat man keine Möglichkeit mehr, den Streit um die Verfassungsmäßigkeit zu erörtern, weil beide Ansichten zu dem gleichen Ergebnis kommen: Wahlfeststellung nicht möglich. Die „Nicht-Fischer-Ansicht“ sagt in diesem Fall: Die Voraussetzungen der Wahlfeststellung fehlen. Die „Fischer-Ansicht“ sagt: Die Figur ist verfassungswidrig. Wie Korrektoren auf den in dieser Konstellation fehlenden Streitentscheid reagieren würden, kann man natürlich nicht genau voraussagen, aber ein gewisses Gefahrenpotential liegt doch darin. Deswegen hatte ich einen Aufbau befürwortet, bei dem der Streit um die Verfassungsmäßigkeit auf jeden Fall zu erörtern ist. Natürlich hat das den Nachteil, dass man sich der „Nicht-Fischer-Ansicht“ anschließen muss, um weiter zu kommen, was sich aber klausurentaktisch rechtfertigen lässt. Man schreibt Klausuren ja nicht immer auf der Basis der eigenen Überzeugung :-).