Archiv für Öffentliches Recht

Versammlungsbegriff: „weiter“ – „enger“ – „engster“

Gerrit Forst und Johannes Hellebrand schreiben in dem Alpmann-Skript „Die mündliche Prüfung im 1. Examen“, 2016, unter Randnummer 238:

[…] Seit Jahrzehnten ist umstritten, welchen Zweck eine Versammlung haben muss, um von Art. 8 Abs. 1 GG erfasst zu werden: Das BVerfG folgt dem sogenannten engen Versammlungsbegriff und hat die Versammlung im Love Parade-Beschluss definiert als „eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.“ Zweck der Versammlung muss danach die öffentliche Meinungsbildung oder Meinungskundgabe sein […].

Eine starke Gegenauffassung vertritt einen weiten Versammlungsbegriff und verlangt – bei Differenzierungen im Detail – lediglich eine Zusammenkunft mehrerer Personen zu irgendeinem Zweck.

Der Versammlungsbegriff ist ein Thema, das nicht nur in mündlichen Prüfungen immer wieder eine Rolle spielt. Auch in Klausuren muss man ggf unter die verschiedenen Versammlungsbegriffe subsumieren.

Gibt es nun nur die beiden Versammlungsbegriffe, von denen Forst/Hellebrand sprechen, oder besteht Ergänzungspotential?

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Modifizierte Subjektstheorie / Zuordnungstheorie / Sonderrechtstheorie

Uwe Hansmann schreibt in der JA 2007, 447 (451):

Der Verwaltungsrechtsweg ist gem. § 40 I 1 VwGO eröffnet, da sowohl das Bestattungsgesetz als auch die Friedhofssatzung Regelwerke sind, die einen öffentlich-rechtlichen Hoheitsträger berechtigen und verpflichten, und es sich bei der Friedhofssatzung zudem um ein entsprechend den Bestimmungen der Gemeindeordnung erlassenes Regelwerk des kommunalen Ortsgesetzgebers handelt, das die Nutzung des Kommunalfriedhofs als öffentliche Einrichtung regelt.

Bei der Frage, ob der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I 1 VwGO eröffnet ist, muss man sich u.a. mit der Frage beschäftigen, ob es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt. Zu der Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Recht werden verschiedene Theorien diskutiert. In diesem Beitrag soll es um die von Hansmann angesprochene modifizierte Subjektstheorie gehen, die auch Zuordnungstheorie oder Sonderrechtstheorie genannt wird.

Fällt auf, inwiefern die Formulierung in dem Zitat ergänzungsbedürftig ist? Weiterlesen

Die Drei-Stufen-Theorie – ein Prüfungsklassiker mit Tücken im Detail

Gerrit Forst und Johannes Hellebrand schreiben im Alpmann-Skript „Die mündliche Prüfung im 1. Examen“, 2016, unter Randnummer 232:

Dreistufentheorie: Die Dreistufentheorie hat das BVerfG im Apotheken-Urteil entwickelt. […] Die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs nehmen mit jeder Stufe zu:

  • Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit [….] können danach schon aus vernünftigen Gemeinwohlerwägungen gerechtfertigt werden.
  • Eingriffe in die Berufswahlfreiheit, die an subjektive Voraussetzungen des Grundrechtsträgers [z.B. bestandene Prüfungen] anknüpfen [zweite Stufe], sind nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zulässig.
  • Eingriffe in die Berufswahlfreiheit, die an objektive Voraussetzungen [z.B. feste Höchstzahlen] anknüpfen [dritte Stufe], sind nur zum Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter zulässig.

Sollten wir die Voraussetzungen, die das BVerfG im Apothekenurteil entwickelt hat, so wiedergeben?

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Die Etikettierung von Rindfleisch: Ein Thema für’s Examen?

kuhMuss man damit rechnen, demnächst im Examen mit dem Rindfleischetikettierungsgesetz konfrontiert zu werden?

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Denn das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 21. September 2016 (2 BvL 1/15) § 10 Abs. 1 und § 10 Abs. 3 dieses Gesetzes für mit Art. 103 Abs. 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 S. 1 sowie Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG unvereinbar und nichtig erklärt.

Die entsprechenden zur Überprüfung stehenden Bestimmungen lauteten:

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer unmittelbar geltenden Vorschrift in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 zuwiderhandelt, soweit eine Rechtsverordnung nach Absatz 3 für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist.

[…]

(3) Das Bundesministerium wird ermächtigt, soweit es zur Durchsetzung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union erforderlich ist, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Tatbestände zu bezeichnen, die als Straftat nach Absatz 1 zu ahnden sind.

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Gemeinschaftsrecht oder Unionsrecht?

Christian Brand und Raphael Blatter schreiben in der JuS 2016, 983 ff:

In zwei grundlegenden jüngeren Entscheidungen geht der BGH der Frage nach, ob das Gemeinschaftsrecht dazu zwingt, liebgewonnene dogmatische Figuren des Betrugstatbestands zu überdenken.

(S. 983)

Zuvor muss aber Klarheit darüber herrschen, wie das Gemeinschaftsrecht auf das nationale Strafrecht einwirken kann (u. B).

(S. 983)

B. Einflüsse des Unionsrechts auf das nationale Strafrecht

(S. 984)

Das Gemeinschaftsrecht beeinflusst den nationalen Rechtsraum auf ganz unterschiedliche Weise.

(S. 984)

Der EuGH hat schon sehr früh Kriterien herausgearbeitet, bei deren Vorliegen das Unionsrecht innerstaatlich unmittelbare Anwendung findet.

(S. 984)

Kollidiert nationales Recht mit unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht und weist der Sachverhalt, den es zu beurteilen gilt, einen unionsrechtlichen Bezug auf, verliert die nationale, mit Unionsrecht unvereinbare Vorschrift nicht ihre Wirksamkeit, sondern wird von der unmittelbar anwendbaren unionsrechtlichen Vorschrift bei der Lösung des konkreten Falls lediglich verdrängt.

(S. 984)

Ob die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben innerstaatlich unmittelbar anwendbar sind, spielt – anders als im Kontext des Anwendungsvorrangs – bei der unionsrechtskonformen Auslegung keine Rolle. Zugänglich sind der unionsrechtskonformen Auslegung nicht nur Vorschriften, die dazu dienen, gemeinschaftsrechtliche Vorgaben umzusetzen, sondern – bei einem entsprechenden Anknüpfungspunkt – das gesamte nationale Recht.

(S. 984)

Diese Beispiele sollen nun reichen, um die Frage anzudeuten, die ich heute thematisieren möchte. Es ließen sich dem Aufsatz von Brand/Blatter aber noch viele weitere Zitate dieser Art entnehmen.

Was fällt bei diesen Zitaten auf?

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